Bundeseinheitliche Corona-Notbremse in Kraft

Die Bundes-Notbremse als "letzter Stunt" gegen die Pandemie kommt! Mit einer Reihe von Anpassungen hat der Bundestag den vom Kabinett vorgelegten Entwurf des 4. Bevölkerungsschutzgesetzes beschlossen und der Bundesrat ließ ihn durch. Bis kurz vor der Beratung waren Kompromisse bei Inzidenz und Einkaufsvarianten erforderlich, um das verfassungsrechtlich umstrittene Gesetz mehrheitsfähig zu machen. 

Mit einer bundesweit einheitlichen Regelung will die Bundeskanzlerin die Länder in ihren Entscheidungen bei der Eindämmung der Corona-Pandemie zumindest in Teilen faktisch entmachten. Der Bund erhält weitgehende Durchgriffsrechte, nun allerdings mit Parlamentsvorbehalt.  Das "Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" findet sich nach einem flotten Parforceritt bereits im BGBl. Teil I Nr. 18 vom 22.04.2021 auf Seite 802.

Bundesrat kritisiert, aber lässt passieren

Ursprünglich sollte die Gesetzesreform im beschleunigten Verfahren bereits in der vergangenen Woche beschlossen werden. Für das beschleunigte Verfahren hätte die Bundesregierung allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag benötigt, die nicht zu erreichen war.

Nun hat der Bundesrat am 22. April beraten. Als sogenanntes Einspruchsgesetz bedarf der Entwurf nicht der Zustimmung des Bundesrats, er hätte aber mit absoluter Mehrheit Einspruch einlegen können. Das tat er aber, auch wenn die Ministerpräsidenten verfassungsrechtliche Bedenken äußerten und Probleme bei der praktischen Umsetzung sahen, nicht.

Pfeilschnell: Gesetz tritt am 23.4 in Kraft

In Kraft treten kann das Gesetz nach der schnellen Prüfung und Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und anschließender Veröffentlichung bereits 23.4.2021.

Deutliche Modifikationen der umstrittenen Bundes-Notbremse noch vor Verabschiedung

Auf erhebliche Kritik an dem bisherigen Entwurf und auf verfassungsrechtliche Bedenken des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags besonders zu den geplanten nächtlichen Ausgangssperren hat die Bundesregierung inzwischen reagiert und einen Teil der bereits beschlossenen Regelungen wieder modifiziert. Die Modifikationen beinhalten sowohl Abmilderungen der geplanten Beschränkungen als auch - besonders im Schulbereich - zusätzliche Verschärfungen.

Geplante Ausgangssperre deutlich abgemildert

Abgemildert wurden insbesondere die Regelungen zu den stark umstrittenen Ausgangsbeschränkungen. So sollen die Ausgangssperren bei Überschreiten des Inzidenzwertes von 100 nicht wie ursprünglich geplant schon ab 21:00 Uhr, sondern erst von 22:00 Uhr bis 5:00 Uhr morgens gelten. Nächtliches Joggen und Spazierengehen bleibt bis 24 Uhr erlaubt. 

Ganz neuer Inzidenzwert 165 für Schulen

Der Distanzunterricht in Schulen - ursprünglich ab Überschreiten einer Inzidenz von 200 geplant - soll künftig ab dem neu eingeführten Inzidenzwert von 165 verpflichtend sein. Hierbei handelt es sich wohl um einen hart ausgehandelten Kompromisswert zwischen denen, denen die ursprünglich vorgesehene 200er-Inzidenz zu streng und denen, denen sie zu lasch war. Der Wert beruht dem Vernehmen nach schlicht auf dem Inzidenzwert, der am Tage des Kabinettsbeschlusses in Deutschland aktuell ermittelt wurde.

Click & Collect Einzelhandel auch über 150er Inzidenz

Die Regeln für den Einzelhandel wurden im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf deutlich gelockert.

  • Bei Inzidenzwerten zwischen 100 und 150 bleibt der Einzelhandel grundsätzlich geöffnet.
  • Eingekauft werden darf dann nach Anmeldung (Click & Meet) und unter Vorlage eines negativen Coronatests, der nicht älter als 48 Stunden ist. 
  • Die Regeln des „Click & Collect“ (Bestellen und Abholen) gelten auch noch bei Inzidenzwerten über 150.

Kein Durchregieren ohne Zustimmung des Bundestags

Der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung enthielt eine Bestimmung, wonach die Bundesregierung ermächtigt werden sollte, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates zur einheitlichen Festsetzung von Corona-Maßnahmen zu erlassen. Mit dieser Bestimmung wäre eine Zustimmung des Bundestags für die Festsetzung solcher Maßnahmen nicht erforderlich gewesen. Diese Bestimmung ist auf Drängen der SPD-Fraktion komplett entfallen. Künftig muss der Bundestag solchen von der Bundesregierung beabsichtigten bundeseinheitlichen Coronaschutz-Maßnahmen daher grundsätzlich zustimmen, damit sie in Kraft treten können.

Künftig Testpflicht in Unternehmen

Bundesarbeitsminister Heil hat sich darüber hinaus mit seinem Vorschlag zu einer Änderung der Arbeitsschutzverordnung durchgesetzt. Diese enthält beginnend mit dem 20.4.2021 die Verpflichtung der Unternehmer zu regelmäßigen Testangeboten gegenüber ihren im Betrieb präsenten Arbeitnehmern.

  • Mindestens einmal pro Woche müssen die Arbeitgeber sämtlichen Arbeitnehmern, die nicht ausschließlich zu Hause arbeiten, Tests zur Verfügung stellen, die dem direkten Erregernachweis des Coronavirus dienen. Danach sind also Schnelltests ebenso wie Selbsttests erlaubt.
  • Für Gruppen mit erhöhtem Infektionsrisiko (hoher Publikumsverkehr, Erbringung körpernaher Dienstleistungen, Mitarbeiter, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind) sind zwei Testangebote pro Woche obligatorisch. Die Kosten tragen die Arbeitgeber selbst.

Hinweis: Es besteht eine Dokumentationspflicht der Arbeitgeber über die Anschaffung entsprechender Testkapazitäten, aber keine Dokumentationspflicht darüber, inwieweit die Arbeitnehmer die Angebote annehmen. Die Kosten können im Rahmen eines Antrags auf Überbrückungshilfe geltend gemacht werden.

Nach wie vor besteht allerdings keine Pflicht der Arbeitnehmer, die Tests auch tatsächlich durchführen zu lassen.

Die Zahl der bezahlten Kinderkrankentage wird auf 30 angehoben. Jeder Elternteil kann diese Anzahl an Kinderkrankentagen bei Schul- und Kitaschließungen beanspruchen.

Dies ist der aktuelle Stand der geplanten Reform

Gemäß einem neuen § 28 b IfSG-E tritt künftig bundeseinheitlich die Notbremse ab einer 7-Tage-Inzidenz von über 100 Ansteckungen auf drei aufeinanderfolgenden Tagen in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt in Kraft. Bei diesem Wert müssen sämtliche Lockerungen zurückgenommen werden. Gelockert werden darf erst wieder, wenn die Inzidenz an fünf aufeinanderfolgenden Tagen unter 100 liegt.

Das soll im einzelnen ab Überschreiten einer 7-Tage-Inzidenz von 100 gelten:

Private Treffen:

Private Treffen (drinnen und draußen) werden auf 1 Haushalt plus eine weitere Person plus Kinder unter 14 Jahre beschränkt. Ausnahme: Wahrnehmung des Sorgerechts sowie Teilnahme an Beerdigungen (15 Teilnehmer erlaubt).

Ausgangsbeschränkungen:

Zwischen 22 und 5:00 Uhr tritt eine Ausgangssperre in Kraft. Ausnahmen: Medizinische Notfälle, Berufsausübung, Versorgung von Tieren. Außerdem sollen Joggen und Spazierengehen bis 24 Uhr gestattet sein.

Freizeit- und Kultureinrichtungen:

Schwimmbäder, Clubs, Spielhallen, Kinos oder Theater bleiben geschlossen.

Einzelhandel:

Der Einzelhandel muss komplett schließen. Ausnahmen gelten für Supermärkte, Apotheken, Drogerie- und Gartenmärkte, Reformhäuser, Sanitätshäuser, Geschäfte des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte, den Großhandel  sowie für Optiker, Hörgeräteakustiker und Geschäfte für Babybedarf.

Click & Collect, also Bestellen mit anschließendem Abholen von Waren, bleibt auch für den übrigen Einzelhandel  bei einer Inzidenz von über 150 erlaubt, daneben Einkaufen nach Anmeldung (Click & Meet) unter Vorlage eines negativen Coronatests bei Inzidenzwerten zwischen 100 und 150.

Kundendichte: In geöffneten Einzelhandelsgeschäften ist die Höchstzahl der Kunden bei Geschäften unter 800 m² auf 1 Kunde pro 20 m², für den darüber liegenden Flächenanteil auf einen Kunden pro 40 m² beschränkt.

Im Dienstleistungsbereich bleibt das, was nicht nach bisherigen Regeln schon untersagt ist, grundsätzlich offen, wie Fahrrad- und Autowerkstätten, Banken und Sparkassen, Poststellen und ähnliches.

Home-Office-Pflicht adressiert künftig auch die Arbeitnehmer

Die Verpflichtung der Arbeitgeber, Home-Office anzubieten, wenn dies betrieblich möglich ist, ist Bestandteil der Corona-Arbeitsschutzverordnung. Mit der zusätzlichen Aufnahme der Pflicht zum Home-Office in § 28 b IfSG-E tritt die Pflicht der Arbeitnehmer hinzu, ihrerseits Home-Office-Angebote wahrzunehmen, soweit ihnen dies in ihrem privaten Raum möglich ist.

Sport:

Sportliche Betätigungen werden nur zu zweit oder mit dem eigenen Haushalt erlaubt. Leistungssport ist auch in größeren Gruppen gestattet. Zuschauer sind verboten. Ausnahme: Kinder bis 14 Jahre dürfen grundsätzlich auch in Gruppen bis zu fünf Kindern kontaktfrei Sport treiben.

Gastronomie:

Die Gastronomie bleibt geschlossen. Außer-Haus-Verkauf bleibt möglich, allerdings nur tagsüber. Während der Ausgangssperre ist auch die Abholung von Speisen im Außer-Haus-Verkauf verboten. Das Liefern von Speisen und Getränken nach Hause bleibt aber auch während der Ausgangssperre erlaubt.

Körpernahe Dienstleistungen:

Körpernahe Dienstleistungen werden verboten. Medizinische, pflegerische, seelsorgerische und therapeutische Dienstleistungen sind weiterhin erlaubt, ebenso Friseurbesuche sowie Fußpflege, beides allerdings nur mit tagesaktuellem negativem Corona-Test. Weitere . Voraussetzung: Das Tragen einer FFP2-Maske, die einfache medizinische Maske reicht nicht mehr.

Öffentlicher Nah- und Fernverkehr:

Im ÖPNV sowie im Fernverkehr besteht ebenfalls die Verpflichtung zum Tragen einer FFP2- Maske. Die Betreiber sollen eine Reduzierung der Fahrgastzahlen auf die Hälfte anstreben (im ursprünglichen Entwurf war die Sicherstellung der Fahrgastreduzierung gefordert).

Beherbergungsbetriebe:

Übernachtungen in Hotels und ähnlichen Einrichtungen zu touristischen Zwecken bleiben verboten.

Freizeit- und Kultureinrichtungen:

Freizeit- und Kultureinrichtungen sollen bei einer Inzidenz von über 100 schließen. Ausnahmen gelten für die Außenbereiche von zoologischen und botanischen Gärten. Besucher müssen allerdings einen aktuellen negativen Coronatest vorweisen.

Eigene Notbremsregelung für Schulen bei neuer 165er Inzidenz

Heftig umstritten war die Regelung zur Schließung für Schulen. Diese müssen künftig bei einer dreitägigen Überschreitung der Inzidenz von 165 in den Distanzunterricht wechseln. Ausnahmen können für Abschlussklassen und Förderschulen vorgesehen werden.

Mit dieser Regelung greift der Bund in die Kulturhoheit der Länder ein, was besonders heikel ist, denn gemäß Art. 30 GG i.V. m. Art. 73, 74 GG ist die Bildung weitgehend Ländersache. Der Bund hält die Regelung dennoch wegen seiner Kompetenz für den Gesundheitsschutz für zulässig. Nicht auszuschließen ist, dass diese Streitfrage vor dem BVerfG landet.

Beendet die Notbremse den bundesweiten Flickenteppich?

Ob die Notbremse zu der gewünschten Beendigung des bundesweiten Flickenteppichs bei den Coronabeschränkungen führt, bleibt abzuwarten. Festzuhalten ist, dass unterhalb der Schwelle der für das Einsetzen der Notbremse erforderlichen 100er Inzidenz in Landkreisen und Städten die bisherigen, in den einzelnen Ländern geltenden unterschiedlichen Regeln in vollem Umfange wirksam bleiben. Auch bei Überschreiten der 100er Inzidenz bleibt es den Ländern unbenommen, in ihrem Bereich schärfere Beschränkungen als die Notbremsregelungen vorzusehen. Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise schert mit verbindlichem Distanzunterricht in Schulen bereits ab einer Inzidenz von 150 bereits aus der Notbremsregelung (Distanzunterricht ab Inzidenz 165) aus.

Notbremse gilt vorläufig bis zum 30.6.

Die Reform, die am.23.4. in Kraft tritt ist mit sämtliche Regelungen sind vorläufig bis zum 30.6.2021 befristet. Einzelne Oppositionsparteien wie die FDP haben bereits Verfassungsbeschwerden gegen einzelne Regelungen, insbesondere gegen die Ausgangsbeschränkungen, in Aussicht gestellt.

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