Entscheidungsstichwort (Thema)

Allgemeinverfügung. Nichtigkeit. nächtliche Ausgangssperre. Corona. Covid-19. Pandemie. Verwaltungsakzessorietät. Verhältnismäßigkeit

 

Normenkette

IfSG § 73 Abs. 1a Nr. 6, §§ 28, 28a; VwVfG § 44; CoronaSchVO NRW § 16 Fassung: 2020-11-30; GG Art. 2 Abs. 2, 1, Art. 13

 

Verfahrensgang

AG Detmold (Aktenzeichen 4 OWi 165/21)

 

Tenor

  1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen (Einzelrichterentscheidung).
  2. Die Sache wird auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden übertragen (Einzelrichterentscheidung).
  3. Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.
 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlichen Aufenthalts außerhalb der häuslichen Unterkunft trotz Ausgangsbeschränkung und ohne gewichtigen Grund zu einer Geldbuße von 250 Euro gem. §§ 73 Abs. 1a Nr. 24, 28 Abs. 1 S. 1, 2 IfSG i.V.m. Ziff. I Nr. 2, III Nr. 1 der Allgemeinverfügung für das Gebiet des Kreises Lippe vom 18.12.2020 verurteilt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war der Aufenthalt außerhalb der häuslichen Unterkunft ohne gewichtigen Grund im Kreis Lippe am 22.12.2020 nach 22 Uhr untersagt. Der Betroffene hielt sich gleichwohl gegen 23.29 Uhr in A am Z im Cpark auf.

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung. Die darin geregelte Ausgangssperre hält er für verfassungswidrig. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und sie sodann als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) und auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden zu übertragen (§ 80a Abs. 3 OWiG), da es geboten erscheint, eine obergerichtliche Klärung bzgl. der Rechtsfrage, ob die nächtliche Ausgangssperre gem. "Allgemeinverfügung des Kreises Lippe zur Umsetzung von Schutzmaßnahmen, die der Verhütung und Bekämpfung einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV- 2 auf dem Gebiet des Kreises Lippe dienen" vom 18.12.2020, veröffentlicht unter Nr. 831 im Kreisblatt - Amtsblatt des Kreises Lippe und seiner Städte und Gemeinden - Nr. 123, S. 1408 wirksam ist und damit taugliche Grundlage einer bußgeldrechtlichen Ahndung sein kann.

Es handelt sich insoweit um Einzelrichterentscheidungen des mitunterzeichnenden B.

III.

Die nach Zulassung und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das angefochtene Urteil weist keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO).

Nach § 73 Abs. 1a Nr. 6 OWiG handelt ordnungswidrig, wer einer vollziehbaren Anordnung nach § 28 Abs. 1 S. 1 oder S. 2 OWiG zuwider handelt.

Bei der "Allgemeinverfügung des Kreises Lippe zur Umsetzung von Schutzmaßnahmen, die der Verhütung und Bekämpfung einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV- 2 auf dem Gebiet des Kreises Lippe dienen" vom 18.12.2020, veröffentlicht unter Nr. 831 im Kreisblatt - Amtsblatt des Kreises Lippe und seiner Städte und Gemeinden - Nr. 123, S. 1408, handelt es sich um eine solche vollziehbare Anordnung. Sie ist auf der Grundlage der §§ 28 Abs. 1, 28a Abs. 1 Nr. 3 IfSG, welche auch in der Allgemeinverfügung zitiert werden, ergangen. Verfassungsmäßige Bedenken gegen die Ermächtigungsgrundlage bestehen nicht (vgl. BayVGH, Beschl. v. 12.01.2021 - 20 NE 20.2933 - juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 06.04.2021 - 13 ME 166/21 - juris; VG Köln, Beschl. v. 22.07.2021 - 7 L 736/21 - juris; Senatsbeschluss v. 28.01.2020 - III - 4 RBs 3/21 = BeckRS 2020, 42710 noch zu § 28 IfSG a.F.).

1.

Gründe, die für eine Nichtigkeit der Allgemeinverfügung sprechen könnten (vgl. § 44 VwVfG), liegen nicht vor. Ob die Allgemeinverfügung rechtswidrig ist, kann hingegen dahinstehen.

Eine etwaige Fehlerhaftigkeit von Verwaltungsakten bzw. Allgemeinverfügungen wirkt sich auf die straf- bzw. bußgeldrechtliche Beurteilung nur dann aus, wenn der zugrunde liegende Verwaltungsakt nichtig i.S.d. § 44 VwVfG ist; in diesem Fall kommt eine strafrechtliche Sanktionierung nicht in Betracht. Der durch einen (bloß) rechtswidrigen Verwaltungsakt bzw. eine (bloße) rechtswidrige Allgemeinverfügung Betroffene muss sich nach der herrschenden Praxis darauf verweisen lassen, dagegen Rechtsmittel einzulegen; bis zu einem Erfolg seines Rechtsmittels ist er an die Vorgaben des Verwaltungsakts bzw. der Allgemeinverfügung gebunden (OLG Hamm, Beschl. v. 13.12.2016 - 3 RVs 90/16 - juris). Es genügt, wenn der der Bußgeldentscheidung zu Grunde liegende Verwaltungsakt bestandskräftig oder sonst vollziehbar ist (OLG Hamm, Beschl. v. 11.02.2020 - III-4 RBs 47/20 - juris).

Abgesehen von den in § 44 Abs. 2 VwVfG genannten Nichtigkeitsgründen ist ein Verwaltungsakt oder eine Allgemeinverfügung dann nichtig, wenn er bzw. sie an einem besonders ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge