Berufung kann wegen Verwendung von Textbausteinen unzulässig sein

Die Berufungsbegründungsschrift muss eine individualisierte Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil enthalten. Die bloße Verwendung von Textbausteinen, ohne ersichtlichen starken Bezug auf den konkreten Fall, genügt diesen Anforderungen auch in ähnlich gelagerten Mehrfachverfahren wie den Dieselklagen nicht.

Das OLG Naumburg hat ein für Anwälte höchst brisantes Grundsatzurteil erlassen: Der Senat hat eine weitgehend aus Textbausteinen bestehende Berufungsbegründung als den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechend gewertet und die Berufung deshalb als unzulässig verworfen.

Schadensersatzklage wegen unzulässiger Dieselmanipulationssoftware

Gegenstand des Verfahrens war die Klage des Käufers eines Gebrauchtwagens Audi A6 Avant 3.0 TI. Die Klage war darauf gestützt, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehen gewesen sei, die erkennt, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte getestet wird. In der Testsituation werde die Abgasaufbereitung an die gesetzlichen Anforderungen angepasst. Im normalen Fahrbetrieb sei der Stickstoffdioxidausstoß wesentlich höher.

Audi gekauft, VW verklagt

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Klage war gegen den angeblichen Hersteller des Motors, VW, gerichtet. Nach Auffassung des LG hatte der Kläger aber nicht hinreichend dargelegt und auch nicht bewiesen, dass Volkswagen tatsächlich der Hersteller des Motors war.

Auch habe der Kläger nicht nachvollziehbar dargetan, dass die Audi AG, von der das Fahrzeug stammte, organisatorisch und technisch in den VW-Konzern in einer Weise eingegliedert sei, dass eine gesamtschuldnerische Haftung von VW neben der Audi AG in Betracht komme. Damit kam das LG erst gar nicht zu der in anderen Fällen entscheidenden Frage, ob VW die Käufer im Hinblick auf die Manipulationssoftware arglistig getäuscht hat (LG Magdeburg, Urteil v. 15.11.2018, 10 O 218/18).

Berufungsbegründung mit Textbausteinen ist äußerst riskant

Gegen dieses Urteil legte der Anwalt des Klägers in dessen Namen Berufung beim OLG ein. Die Berufungsbegründungsschrift füllte der Anwalt im wesentlichen mit Textbausteinen, die er für ähnliche Verfahren auf dem Kanzleirechner gespeichert hatte. Diese Vorgehensweise zeigte sich im Nachhinein als äußerst riskant, da die Textbausteine dem OLG nicht als Begründung der eingelegten Berufung ausreichten.

Erstinstanzlich sind Textbausteine in Grenzen akzeptabel

Der OLG-Senat rügte das Vorgehen des Kläger-Anwalts insgesamt. Bereits erstinstanzlich sei die Klage von der Verwendung von Textbausteinen geprägt gewesen, die die Kanzlei offensichtlich in einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle verwende. Im Hinblick auf die besonderen Anforderungen der Bearbeitung von ähnlich oder gleichgelagerten Mehrfachverfahren sei dies für die erste Instanz mit der Einschränkung hinnehmbar, dass die charakteristischen Umstände des vor Gericht gebrachten Einzelfalls in irgendeiner Weise erkennbar aus dem Sachvortrag deutlich würden.

Berufungsbegründung muss individualisierte Auseinandersetzung mit Urteil enthalten

Der Senat betonte, dass das Berufungsverfahren von besonderen Anforderungen geprägt sei. Gemäß § 520 Abs. 3 ZPO habe die Berufungsbegründung sich mit den Gründen des erstinstanzlichen Urteils auseinanderzusetzen. Hierzu reiche die weit überwiegende Verwendung von Textbausteinen nicht aus, da Urteile in der Regel nicht völlig gleich, sondern auf einen konkreten Fall bezogen formuliert würden. Dementsprechend müsse auch die Begründung einer Berufung eine individualisierte Auseinandersetzung mit den erstinstanzlichen Urteilsgründen enthalten.

Textbausteine nur in Grenzen zulässig

Hierbei könnten in der rechtlichen Auseinandersetzung durchaus Textbausteine in angemessener Weise verwendet werden, soweit sich daraus ein sachlich erkennbarer Bezug zu den Gründen des erstinstanzlichen Urteils herstellen lasse. Wenn die Berufungsbegründungsschrift aber nahezu ausschließlich Textbausteine verwende, bei denen eine individualisierte Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil kaum erkennbar sei, genüge dies nicht den Anforderungen an eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Begründungsschrift.

Berufung als unzulässig verworfen

Im Ergebnis verwarf das OLG die Berufung des Klägers mangels einer hinreichend individualisierten Berufungsbegründungsfrist als unzulässig. Für den Rechtsanwalt könnte dieses Urteil im Hinblick auf einen möglichen Anwaltsregress (BGH baut die Anwaltshaftung kontinuierlich aus) äußerst unerfreuliche Folgen haben. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

(OLG Naumburg, Urteil v. 22.10.2019, 1 U 168/18)


Hintergrund: Berufungsbegründung muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein

Eine Berufungsbegründung muss erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht. Die Berufungsbegründung muss die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 11.08.2017, 1 Sa 93/17). 


Haufe Online Redaktion
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