Nutzungsausfall: Reparatur bei Mittellosigkeit

Wie viel Zeit darf sich ein Geschädigter mit der Reparatur seines Fahrzeugs lassen, wenn er kein Geld für die Reparatur vorstrecken kann? Mit dieser Frage hat sich das Amtsgericht Leer befasst.

Der Kläger, Eigentümer eines Kia Picanto, wurde in einen Unfall verwickelt, weil ein anderer Verkehrsteilnehmer die rechts vor links Regel missachtete. Am Fahrzeug des Kia ergab sich ein Schaden in Höhe von 3.110 Euro.

Das Amtsgericht Leer kam zu der Einschätzung, dass der Beklagte, der Fahrer eines Dacia Logan, den Unfall allein verursacht hatte. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVO war er dazu verpflichtet, dem Kläger Vorfahrt zu gewähren. Bei einem Verstoß gegen die Regel rechts vor links hafte der Wartepflichtige in der Regel allein, wenn dem Vorfahrtsberechtigten keine Pflichtverletzung nachgewiesen werden könne.

Nutzungsausfall für mehr als 300 Tage

Das Besondere an dem Fall: Der Kläger verlangte eine Nutzungsausfallentschädigung für mehr als 300 Tage. Hintergrund: Weder er noch seine Frau seien finanziell in der Lage gewesen, eine Ersatzbeschaffung vorzunehmen. Sie führten unter anderem an, dass sie zur Finanzierung des Kaufpreises des Kia ein Darlehen in Höhe von 3.795 Euro aufgenommen hatten, das sie mit monatlich 74 Euro abbezahlen mussten, und das sie noch nicht getilgt hatten.

Kläger hatte Versicherer auf finanzielle Verhältnisse hingewiesen

Die Versicherung des Beklagten hatte der Kläger frühzeitig, zehn Tage nach dem Unfall, auf seine finanziellen Verhältnisse hingewiesen. Zudem hatte er explizit klargemacht, dass sich dadurch die Wiederbeschaffungszeit deutlich verlängern könnte und damit die Gefahr einer Schadensvertiefung bestehe. Das Amtsgericht wertete dieses Vorgehen so, dass der Kläger damit seiner Schadensminderungspflicht genüge getan hat.

Im Einzelnen führte das Amtsgericht aus:

  • der Kläger kann von den Beklagten Nutzungsausfallentschädigung bis zum Ausgleich der Kosten für die Wiederbeschaffung verlangen
  • der Kläger verstößt nicht gegen die Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB, indem er vor der Reparatur bzw. der Ersatzbeschaffung auf den Ausgleich des Schadens wartet
  • grundsätzlich müsse die Schadensbehebung in Hinblick auf die Schadensminderungspflicht zwar in angemessener Frist erfolgen und gegebenenfalls auch ein Ersatzfahrzeug für die Zwischenzeit angeschafft werden (BGH, Urteil v. 14.04.2010, VIII ZR 145/09)
  • dies könne jedoch nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte nicht die erforderlichen Mittel zur Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges besitze und er die gegnerische Haftpflichtversicherung auf die eintretende Verzögerung oder den Ausschluss der Ersatzbeschaffung und damit auf die Verlängerung des Nutzungsausfalls hinweise (BGH, Urteil v. 25.01.2005, VI ZR 112/04)

Das Landgericht Aurich schloss sich der Argumentation des Amtsgerichts zum Nutzungsausfall an. Der Kläger hat einen Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung von 27 Euro pro Tag für mehr als 300 Tage.

(LG Aurich, Beschluss v. 22.08.2017, 4 S 122/17)

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Schlagworte zum Thema:  Nutzungsausfall, Kraftfahrzeug, Versicherung