Rechtsanwalt kalkulierbare Vergütungsvereinbarungen

Nach einer Entscheidung des EuGH können anwaltliche Vergütungsvereinbarungen auf Stundensatzbasis unzulässig sein, wenn die zu erwartende Gesamtvergütung für den Mandanten nicht kalkulierbar ist.

Nach einem Grundsatzurteil des EuGH zur Rechtmäßigkeit von anwaltlichen Honorarvereinbarungen auf Zeitbasis dürfte es für Rechtsanwälte in Zukunft sinnvoll sein, Vergütungsvereinbarungen auf Stundenbasis mit zusätzlichen Informationen hinsichtlich des erwarteten Zeitaufwandes zu versehen.

Vergütungsvereinbarungen müssen für den Mandanten transparent sein 

Honorarvereinbarungen auf Stundensatzbasis sind für Rechtsanwälte bei bestimmten Mandaten nicht unbeliebt, besonders wenn der aufzubringende Zeitaufwand zu Beginn des Mandats nicht abschätzbar ist. Gerade die mangelnde Abschätzbarkeit birgt nach einem kürzlich ergangenen Urteil des EuGH die Gefahr der Unwirksamkeit von Vergütungsvereinbarungen. Nach der Entscheidung des EuGH muss der Mandant bei Unterzeichnung einer Vergütungsvereinbarung den ihn erwartenden Kostenaufwand nämlich einigermaßen einschätzen können.

Vergütungsvereinbarung eines litauischen Rechtsanwalts auf Zeitbasis

Die konkrete Entscheidung des EuGH betrifft eine Vorlage des Obersten Gerichts Litauens. Gegenstand des der Vorlagefrage zugrundeliegenden Rechtsstreits waren 5 Verträge zwischen einem Mandanten und seinem Rechtsanwalt über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen. Die Vergütung war zeitabhängig geregelt. Vereinbart wurde ein Stundensatz von 100 Euro ohne erläuternde Angaben. Der Anwalt erbrachte in den Jahren 2018 und 2019 Rechtsdienstleistungen, die er im März 2019 dem Mandanten in Rechnung stellte. In Höhe eines Teilbetrages von knapp 10.000 Euro verweigerte der Mandant die Zahlung, die der Anwalt darauf gerichtlich geltend machte.

Vorlage an EuGH

Das Oberste Gericht Litauens bat den EuGH um Klärung der Frage, ob eine Vergütung, die sich nach dem Zeitaufwand richtet, zum Hauptgegenstand eines Vertrages im Sinne der EU-Richtlinie 93/13 gehört. Diese Richtlinie betrifft unter anderem das 

  • Erfordernis einer klaren, transparenten Abfassung von Vergütungsklauseln sowie 
  • die Folgen von intransparenten und missbräuchlichen Vergütungsklauseln in einem Verbrauchervertrag.

Vergütungsklauseln gehören zum Hauptvertragsgegenstand 

Der EuGH bewertet Vergütungsklauseln auf Zeitbasis grundsätzlich als Hauptgegenstand eines Vertrages im Sinne der EU-Richtlinie 93/13. Deshalb müsse der Verbraucher bei Abschluss eines solchen Vertrages in die Lage versetzt werden, die sich für ihn aus der Vereinbarung ergebenden wirtschaftlichen Folgen auf Grundlage klarer und nachvollziehbarer Kriterien einzuschätzen. Die hierfür genannten Kriterien müssten so transparent sein, dass der Verbraucher seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der möglichen wirtschaftlichen Folgen treffen könne.

Verschiedene Optionen zur Erfüllung des Transparenzgebots

Aus diesen Grundsätzen zog der EuGH den Schluss, dass ein Vergütungsvertrag Angaben enthalten muss, anhand derer der Verbraucher eine grobe Einschätzung der Gesamtkosten der Rechtsdienstleistungen vorzunehmen vermag, z. B. durch eine Schätzung der Stundenzahl, die mindestens erforderlich ist, um die vereinbarte Dienstleistung zu erbringen. Möglich ist nach der Entscheidung des EuGH aber auch eine vertraglich vereinbarte Verpflichtung des Rechtsanwalts, dem Mandanten in angemessenen Zeitabständen Rechnungen oder Aufstellungen zu übermitteln, in denen die jeweils bisher aufgewandten Arbeitsstunden ausgewiesen werden.

Umfassende Abwägung eines Missverhältnisses der Leistungspflichten erforderlich 

Bei der Bewertung einer Vergütungsvereinbarung hat das nationale Gericht nach der Entscheidung des EuGH unter Berücksichtigung sämtlicher Einzelumstände zu prüfen und umfassend abzuwägen, ob der Vergütungsvertrag gegen das Gebot von Treu und Glauben verstößt und ob zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Leistungspflichten besteht, wobei eine fehlende Transparenz der Regelung ein solches Missverhältnis begründen kann, aber nicht in jedem Fall begründen muss.

Gericht darf in der Regel keine Ersatzvergütung festsetzen

Erklärt das nationale Gericht nach gründlicher Abwägung eine vertragliche Vergütungsvereinbarung für nichtig, so darf das nationale Gericht nach der Entscheidung des EuGH keine aus seiner Sicht angemessene Vergütung als Ersatz festsetzen. In diesem Fall hänge es vom jeweiligen nationalen Recht ab, ob der Anwalt für seine Tätigkeit überhaupt eine Vergütung erhält oder nicht. 

Vergütungsfestsetzung durch das Gericht in Ausnahmefällen möglich 

Ausnahmsweise dürfe das nationale Gericht eine angemessene Vergütung selbst festsetzen, wenn die Nichtigerklärung des Vergütungsvertrages insgesamt zu besonderen, den Verbraucher unangemessen belastenden Nachteilen führen würde. Nach deutschem Recht dürften im Falle der Nichtigkeit einer Vergütungsvereinbarung die für die Tätigkeit des Anwalts maßgeblichen Gebührenregelungen des RVG greifen. Unumstritten ist dies aber nicht, denn dies kann sowohl für den Mandanten als auch für den Anwalt nachteilig sein.

Vergütungsvereinbarungen auf Zeitbasis sollten informativer werden

Für Anwälte auch in Deutschland dürfte es nach der Entscheidung des EuGH in Zukunft sinnvoll sein, Vergütungsvereinbarungen nach Zeitaufwand, mit einer zumindest ungefähren Schätzung des voraussichtlichen Zeitaufwandes zu versehen oder die Erstellung regelmäßiger Zwischenabrechnungen zu vereinbaren. Die Zwischenabrechnungen sollten, falls möglich, mit einer ungefähren Einschätzung des noch verbleibenden Zeitaufwandes versehen werden. Nach der Entscheidung des EuGH könnte auch in Deutschland die ein oder andere Vergütungsvereinbarung auf Zeitbasis unwirksam sein.

(EuGH, Urteil v. 12.1.2023, C-395/21)