Polizei hat Probleme mit medizinisch verordnetem Cannabis

Ein schwerkranker Mann zieht am Ufer der Isar in München genüsslich einen Joint durch. Zwei Drogenfahnder erkennen bzw. erschnüffeln die Situation und schlagen zu. Sie beschlagnahmen das Cannabis. Die Drogenfahnder leiten gegen den vermeintlichen Straftäter ein Ermittlungsverfahren ein.

Der Eifer der Drogenfahnder war auch nicht dadurch zu bremsen, dass der vermeintliche Straftäter den Polizisten ein ärztliches Rezept unter die Nase hielt, welches bewies, dass ihm das Cannabis ärztlich verordnet worden war. Den Joint vernichteten die Polizisten trotz des Rezepts an Ort und Stelle.

Der Vorgang beweist: Für Polizei und Justiz ist es oft nicht leicht, neue gesetzliche Lagen mental und rational zu adaptieren. Besonders für Polizisten, die als Drogenfahnder darauf aus sind, Drogendelikte aufzudecken, scheint es noch an der inneren Akzeptanz für die neue Gesetzeslage zu fehlen.

Cannabis gilt als Arzneimittel

Am 10.3.2017 ist das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften in Kraft getreten. Damit hat der Gesetzgeber Ärzten die Möglichkeit zur Verschreibung von Cannabis als Arzneimittel eingeräumt. Cannabis kann sowohl in Form von Cannabisblüten als auch als Cannabisextrakt in pharmazeutischer Qualität verschrieben werden. Daneben besteht - wie schon zuvor - die Möglichkeit der Verschreibung von cannabishaltigen Arzneimitteln.

Cannabis nur für definierte Krankheitsbilder

Nach der neuen Rechtslage können Patienten bei besonderen, schwerwiegenden Erkrankungen, bei chronischen Schmerzen, bei rheumatischen Erkrankungen, bei multipler Sklerose, bei einer Palliativ-Behandlung und bei einigen andern Krankheitsbildern Cannabis auf Rezept erhalten. Der verschreibende Arzt muss allerdings belegen, dass keine andere anerkannte, wirksame Therapie für den Patienten erfolgversprechend ist.

Joint zu therapeutischen Zwecken ist auch in der Öffentlichkeit erlaubt

Eine ärztliche Verordnung berechtigt den Patienten, Cannabis in der Apotheke als Arzneimittel zu erstehen. Verschrieben werden meist Cannabisblüten.

  • Auf dem Rezept muss neben der Menge auch die Cannabissorte angegeben werden.
  • Das Deutsche Ärzteblatt empfiehlt eine Verschreibung etwa in der Form „Cannabisblüten, Sorte Bedrocan, 15 g, Dosierung gemäß schriftlicher Anweisung“.
  • Das so erworbene Rauschmittel darf der Patient in der Form konsumieren, die er für die richtige hält - auch in der Öffentlichkeit.

Das Rauchen eines Joints ist für den betroffenen Personenkreis also gestattet.

Der Anbau von Cannabis wird streng überwacht

Mit Inkrafttreten des Gesetzes hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine „Cannabisagentur“ geschaffen, die den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland steuert und kontrolliert. Gleichzeitig führt die „Bundesopiumsstelle“ eine Erhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln durch, um Erkenntnisse über die Auswirkungen des neuen Gesetzes zu erhalten.

Einige befürworten eine umfassende Cannabisfreigabe

Einige grüne Politiker, aber auch Strafrechtsprofessoren fordern wegen der Sozialschädlichkeit der Drogenprohibition eine komplette Cannabisfreigabe („Legalize it“). Eine Cannabisfreigabe könnte auch zu einer erheblichen Entlastung der Justiz führen. Nach einer Stellungnahme des Präsidenten der Deutschen Polizeigewerkschaft könnten bundesweit Tausende Polizisten, die zur Drogenfahndung eingesetzt werden, dann für andere Aufgaben eingesetzt werden.

Cannabis bleibt grundsätzlich eine illegale Droge

Die Bundesregierung stuft Cannabis grundsätzlich auch weiterhin als gefährliches Rauschmittel mit hohem Suchtpotenzial ein. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, wies noch vor wenigen Tagen darauf hin, dass keine andere illegale Droge so weit verbreitet sei wie Cannabis.

Cannabis zwinge Menschen besonders häufig in ambulante und stationäre Therapieangebote. In einer neuen Umfrage hätten mehr als 7 % der Jugendlichen unter 18 Jahren angegeben, in den letzten zwölf Monaten wenigstens einmal Cannabis konsumiert haben.

Keine Gnade für Kiffer im Straßenverkehr

Bei Cannabis am Steuer kennen Richter nach wie vor keine Gnade. Das OVG Münster hat die strengen aktuellen Grenzwerte für den THC-Gehalt im Blut bestätigt. Schon ein geringer THC-Gehalt könne die Aufmerksamkeit im Straßenverkehr erheblich beeinflussen und zum Verlust der Fahrerlaubnis führen (OVG Münster, Urteil v. 15.3.2017, 16 A 432/16 und 550/16). Der nachgewiesene, regelmäßige Gebrauch von Cannabis lässt nach der Rechtsprechung die Fahreignung stets entfallen (BVerwG, Urteil v. 26.2.2009, 3 C1.08).

Bayrische Behörde muss den Joint ersetzen

Nach wie vor ist in Bayern der Umgang mit Drogentätern äußerst streng. Die beiden Drogenfahnder an der Isar waren aber selbst für ihren Bundesstaat zu weit gegangen oder war mit der neuen Gesetzeslage nicht vertraut.

Der betroffene Jointraucher legte wegen ihres Verhaltens Dienstaufsichtbeschwerde ein und bekam nun Recht.

Den durch die rechtswidrige Vernichtung des Joints entstandenen Schaden musste die Behörde ersetzen, es waren exakt 6,80 Euro - nicht weltbewegend, aber doch ein Paradigmenwechsel.

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Hintergrund:

Sind Drogenhändler Nutznießer der bisherigen Drogenpolitik?

Schätzungen nach leben in Deutschland ca. 4 Millionen Cannabiskonsumenten. Die bisherige Drogenpolitik in der Bundesrepublik gilt unter Experten als gescheitert. Mit dem seit dem Jahr 1981 geltenden Betäubungsmittelgesetz wurde das uneingeschränkte Verbot von Drogen lanciert. Für viele Experten, darunter auch prominente Rechtsprofessoren, gilt ist diese Drogenprohibition sozialschädlich.

Die Konsumenten sind darauf angewiesen, ihren Stoff aus illegalen Kanälen zu beschaffen. Das freut die Drogenmafia und schadet den Konsumenten. Nach Expertenmeinung sind mehr als 90 % des in Deutschland verbrauchten Cannabis mit anderen gefährlichen Substanzen verschnitten. Dies führt zu hohen Gesundheitsrisiken der Konsumenten und belastet letztlich das Krankenversicherungssystem. Durch eine rege Schwarzmarkttätigkeit entstehen riesige Kriminalitätsprobleme. Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden - besonders in Großstädten - sind mit den Aufgaben aus der Bekämpfung der Drogenkriminalität total überfordert. Die Übernahme anderer wichtiger Aufgaben wird hierdurch teilweise blockiert. 

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