Colours of law: Prozesshanseln sind auch Menschen

Auch wer immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand läuft, hat ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht auf rechtliches Gehör. Das gilt selbst dann, wenn sie die deutschen Gerichte schon mit mehreren Tausend Klagen überzogen haben. Querulantentum ist nicht grundrechtsschädlich.

Der Mann ist Strafgefangener und beschäftigt sich in seiner Zelle seit Jahren im wesentlichen mit der Formulierung von Anträgen und Klageschriften. Ca. 1.240 Verfahren hatte das LSG Baden-Württemberg für den prozessfreudigen Strafgefangenen bereits zu bearbeiten, das SG Karlsruhe ca. 660 Verfahren und auch das BSG ist mit weit über 200 Verfahren dabei.

Querulant fordert Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer

Nun hat der prozessfreudige Strafgefangene ein neues Rechtssegment für sich entdeckt. Da die vielen, von ihm eingereichten Klagen von den Gerichten häufig nur schleppend bis gar nicht bearbeitet werden, baut der Petent nun schlitzohrig auf die seit einiger Zeit eingeführten Vorschriften zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren.

  • § 198 GVG gibt den Betroffenen einen eigenständigen Entschädigungsanspruch bei überlanger Verfahrensdauer.
  • Eine solche Entschädigung in Höhe von jeweils 1.200 Euro forderte der Kläger nun in 138 über einen längeren Zeitraum nicht bearbeiteten Verfahren, das macht zusammen 165.600 Euro!

Für einen Strafgefangenen, der mit seiner Arbeit im Gefängnis kaum etwas verdienen kann, ein schöner Brocken Geld.

Der Staat soll für die Gerichtskosten aufkommen

Der Mann macht geltend, das SG habe seine Klagen über Jahre hinweg nicht bearbeitet und dann in einer Weise abgewiesen, die nach seiner Einschätzung darauf schließen ließ, dass die Gerichte sich mit den Verfahren inhaltlich nicht wirklich beschäftigt hatten.

Aus diesem Grunde habe er – wie andere Kläger auch – das Recht auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer. Seine Entschädigungsklage hat er mit einem Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe verbunden.

Die Lust der Selbstdarstellung vor Gericht

Das SG hat den Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen mit der Begründung, der Kläger nutze die Tätigkeit der Gerichte in zweckwidriger, rechtsmissbräuchlicher Weise im wesentlichen zum Aufbau seines Selbstwertgefühls.

Er empfinde Lust, sich vor Gericht selbst darzustellen. Die Entschädigungsforderungen seien daher offensichtlich genauso haltlos wie die Vielzahl seiner Klagen. Der Kläger leide unter einer verfestigten Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und querulatorischen Zügen. Durch Beschluss wies das Gericht den Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für die geltend gemachten Entschädigungsforderungen ohne vorherige mündliche Anhörung des Betroffenen ab. Die Klagen wurden auch sofort aus dem Prozessregister gestrichen. Eine Revision gegen die Entscheidung schlossen die Richter ausdrücklich aus.

Klage weder wirr nach haltlos

Da war es dem Kläger eine Freude, eine ausführliche Nichtzulassungsbeschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision einzulegen. Und siehe da: Vor dem BSG fand er mit seiner Vorbringen Verständnis. Das BSG rügte die Vorgehensweise der Vorinstanz.

  • Das Gericht habe auf krasse Weise den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Vor Abweisung seines Rechtsbegehrens hätte das Gericht den Kläger nach Auffassung der obersten Sozialrichter anhören müssen.
  • Die Vorinstanz habe den Eindruck vermittelt, der Kläger reiche in unkontrolliert überzogener Weise willkürlich Klagen ein. Diese Auffassung sei dieser strikten Form nicht haltbar.
  • Den Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger Prozessdauer habe der Kläger sachlich logisch und juristisch nachvollziehbar formuliert. Der Kläger habe seine Anliegen auch nicht wirr vorgetragen.

Die Gründe der von ihm erhobenen Verfahrensrügen habe er konkret benannt. Seine Hinweise auf die überlange Bearbeitungsdauer bzw. Nichtbearbeitung seien nicht unplausibel. Das von ihm angestrebte Prozessziel, nämlich das Land zu einer Entschädigungsleistung zu verpflichten, sei juristisch nicht völlig haltlos.

Querulantentum ist keine psychische Krankheit

In früheren Verfahren hinzugezogene Gutachter hätten keine schwerwiegende psychische Erkrankung bei dem Kläger feststellen können. Eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstisch querulatorischen Zügen sei zwar eine Störung, aber keine anerkannte psychische Erkrankung.

Das LSG habe nicht einmal in vorschriftsmäßiger Besetzung entschieden. Die ehrenamtlichen Richter seien an der Entscheidung nicht beteiligt worden. Das LSG sei verpflichtet, die Eingaben des Mannes sachlich und rechtlich zu prüfen. Hinsichtlich seiner einzelnen Entschädigungsklagen sei eine objektive Klagehäufung in Erwägung zu ziehen, so dass die einzelnen Klagen zusammengefasst werden könnten.

Der Sieg des Prozesshansel beim BSG ist wenig wert

Das Gericht ließ für die Vorinstanz allerdings ausdrücklich eine Hintertür offen. Wenn das Gericht die Klagen im Rahmen einer objektiven Klagehäufung zusammenziehe, könne es durchaus anschließend zu dem Ergebnis kommen, dass die für eine positive Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfeanträge erforderliche Erfolgsaussicht der Entschädigungsklagen nicht gegeben sein. Gemäß §§ 202 SGG, 198 GVG, 12a, 12 GKG könne das LSG dann vorab die Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses verlangen. Bei Nichteinzahlung der Gerichtskosten müsse es dann die Klagen nicht weiterverfolgen. Eine juristisch saubere Lösung, die weniger dem Betroffenen als vielmehr den Gerichten helfen wird. Der Erfolg des Prozesshansel beim BSG war also möglicherweise nur ein Pyrrhussieg.

(BSG, Beschluss v. 12.2.2015, B 10 ÜG 8/14 B).