Anwältin erkrankt kurz vor Fristablauf - keine Wiedereinsetzung

Eine Anwältin versäumte die Beschwerdebegründungsfrist. Sie entschuldigte dies mit ihrer Erkrankung bis zum Fristablauftag und beantragte Wiedereinsetzung: Kanzleiorganisation, Vertreterbestellung und Verlängerungsantrag sind hier die spannenden Stichworte. Der BGH hatte erneut Gelegenheit, seine Rechtsprechung zu diesem Thema auszufeilen.

Immer wieder spielt bei einem anwaltlichen Fristversäumnis plötzliche Erkrankung von Anwälten eine Rolle. Kam die Unpässlichkeit so überfallartig, dass auch mit gutem Willen und/oder gute Kanzleiorganisation die Frist nicht zu halten gewesen wäre?

Der Fall: Beschwerde gegen Unterhaltszahlung wurde zu spät begründet

Der von der Anwältin Vertretene war zur Zahlung von Trennungs- und Kindesunterhalt verpflichtet worden. Hiergegen legte er mit Hilfe seiner Anwältin Beschwerde vor dem zuständigen OLG ein. Die Frist für die Beschwerdebegründung wurde nach entsprechendem Antrag um einen Monat bis zum 4. November 2019 verlängert.

Beschwerdeführer beantragte weitere Fristverlängerung

Am letzten Tag dieser Frist beantragte der Beschwerdeführer erneut Verlängerung mit der Begründung, dass

  • seine Verfahrensbevollmächtigte vom 1. bis 3. November 2019 krank war,
  • eine Mitarbeiterin der Anwältin im Urlaub ist und
  • weitere fristgebundene Schriftsätze zu erledigen gewesen seien.

Gewünschte weitere Verlängerung scheiterte an Ablehnung der Gegenseite

Die Gegenseite hatte einer weiteren Fristverlängerung nicht zugestimmt. Dieser Zustimmung bedarf es aber nach Ausschöpfung der gesetzlichen Maximalfrist (§§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO).

Erst am 5. November 2019 ging die Beschwerdegründung ein. Zu spät, meinte das OLG, weshalb am 18. November 2019 das Wiedereinsetzungsgesuch der Anwältin folgte, mit dem sie die Sache noch retten wollte.

Wiedereinsetzung wegen Krankheit und fehlender telefonischer Erreichbarkeit der Richterin beantragt

Die Anwältin teilte mit, dass sie am 4. November 2019 zwar wieder am Arbeitsplatz war, aber nicht gesund. Sie hätte vergeblich versucht die Senatsvorsitzende telefonisch zu erreichen, weil sie hoffte durch deren Intervention ließe sich die Gegenseite doch noch zu einem Einverständnis mit der Fristverlängerung bewegen.

Verfahrensbevollmächtigte Rechtsanwältin wurde in allen Punkten vom BGH abgewiesen

Diese Angaben überzeugten den BGH nicht. Dass die Anwältin nicht gesund, aber trotzdem bei der Arbeit war, fanden die Richter schon zu unsubstantiert. Die gesetzlichen Voraussetzungen einer Fristverlängerung seien mit den Senatsmitgliedern auch nicht verhandelbar. Urlaubsbedingte Abwesenheiten müssten durch geeignete organisatorische Maßnahmen abgefedert sein.

Krankheit am letzten Tag der Frist ist für sich genommen kein Wiedereinsetzungsgrund

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH rechtfertigt der krankheitsbedingte Ausfall des Rechtsanwalts am Fristablauftag per se noch nicht die Wiedereinsetzung. Eine solche kommt nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn glaubhaft gemacht wird, dass infolge der Krankheit

  • weder kurzfristig ein Vertreter eingeschaltet
  • noch ein (zulässiges) Fristverlängerungsgesuch gestellt werden konnte.

Anwältin hat nichts zu ihren Notfallvorkehrungen vorgetragen

Das fehlte in dem Vortrag der Verfahrensbevollmächtigten. Insbesondere hatte sie mit keinem Wort erwähnt, inwieweit sie im Rahmen der Organisation ihrer Kanzlei Vorkehrungen dafür getroffen hat, dass im Falle ihrer Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt, zumal sie zusammen mit einer anderen Kollegin arbeitet, also nicht als Einzelanwältin unterwegs ist.

Von jedem Anwalt wird verlangt, dass er sich generell für den Ernstfall absichert

Ein Rechtsanwalt muss stets dafür sorgen, dass Fristen auch dann gewahrt werden, wenn er plötzlich ausfällt.

  • Dafür muss er seinem Personal einen Notfallplan für dieses Szenario geben.
  • Hat er keine Mitarbeiter, muss er Alternativen finden, z.B. einen vertretungsbereiten Kollegen.

Diese Grundsätze des BGH finden sich u.a. in den Entscheidungen vom 16.4.2019 (VI ZB 44/18) und vom 8.8.2019 (VII ZB 35/17).

(BGH, Beschluss v. 10.2.2021, XII ZB 4/20).
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Hinweis: Vorsichtsmaßnahmen für das beA im Krankheitsfall

Was die Entscheidungen des BGH speziell für das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) bedeutet, erläutert die BRAK: hier sei an die „passive Nutzungspflicht” gem. § 31a BRAO erinnert. Bei einer Einzelkanzlei ohne Kanzleipersonal müssen demnach allgemeine Vorkehrungen dazu getroffen werden, dass ein zur Vertretung bereiter Kollege im Fall einer unvorhersehbaren Erkrankung eingehende Nachrichten überprüfen und erste Maßnahmen wie z.B. die Beantragung einer Fristverlängerung beantragen können muss.

Dazu könnte bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer ein Jahresvertreter bestellt werden. Dieser werde dann in das bundesweite amtliche Anwaltsverzeichnis eingetragen und erhalte automatisch das Basisrecht, die Nachrichtenübersicht innerhalb des beA des Erkrankten anzusehen. Das bedeute, dass er zumindest prüfen könne, ob und von wem eine Nachricht eingegangen sei. Allerdings könne er weder den Betreff lesen noch die Nachricht öffnen. Dazu müssten ihm zuvor weitere Rechte eingeräumt worden sein. Seien dagegen Kanzleikollegen oder Kanzleipersonal vorhanden, könnte man diesen bereits beizeiten Zugriff auf das eigene Postfach gewähren, damit sie jederzeit reagieren könnten, falls man unvorhergesehen erkrankt.

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium