Richtig ist die Auffassung, die den vollen Wiederbeschaffungswert als Gegenstandswert der Gebührenbestimmung zugrunde legt, dies aus mehrerlei Gründen.

I. Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands

Der Schädiger schuldet die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, § 249 Abs. 1 BGB. Im Falle eines – wirtschaftlichen – Totalschadens, in welchem eine Naturalrestitution wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht geschuldet ist, ist der für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderliche Geldbetrag jener des vollen Wiederbeschaffungswerts. Für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands und damit für die Gebührenbestimmung ist es unerheblich, wer den Wiederbeschaffungswert zahlt, ob sich dieser also zusammensetzt aus einer (Teil-)Zahlung des Schädigers und einer (Teil-)Zahlung eines Restwertkäufers.[3]

[3] Schneider, AnwBl 2007, 776; LG Koblenz, Urt. v. 13.4.1982 – 6 S 415/81, zfs 1982, 205 f.; Schneider, AGS, 2005, 323 ff.

II. Prüfung der Richtigkeit des Restwerts durch den Rechtsanwalt

Teilweise wird für den Ansatz des vollen Wiederbeschaffungswerts auch vorgebracht, dass sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts auch auf die Prüfung der Richtigkeit des Restwerts beziehe und sich somit die anwaltliche Tätigkeit auch auf die Prüfung des Vorteilsausgleichs erstrecke.[4] Aufgrund des Umstands, dass der Geschädigte verpflichtet ist, Angebote des Restwertkäufers zu berücksichtigen, ist den Fällen, in denen die Abwicklung über den Rechtsanwalt läuft, der Restwert zum Gegenstandswert zu addieren, weil der Rechtsanwalt konkret eine Tätigkeit über diesen Gegenstand erbringt.[5]

[4] Hansens, zfs 2007, 311–314; Jungbauer, DAR 2007, 609–611; Onderka, Anwaltsgebühren in Verkehrssachen, 3. Aufl. 2010, Rubrik Sachschaden, Rn 266; Jungbauer, Rechtsanwaltsvergütung, 5. Aufl. 2010, S. 686; LG Freiburg, AnwBl 1971, 361; AG Wesel, Urt. v. 25.3.2011 – 27 C 230/10; Fuchs, DAR 2002, 187; LG Mainz, Urt. v. 20.1.1976 – 6 O 4/75.
[5] Jungbauer, Rechtsanwaltsvergütung, a.a.O., S. 686; LG Koblenz, VersR 2003, 1050.

III. Begründung durch § 249 Abs. 2 S. 1 BGB

Die Richtigkeit der Annahme, dass für die Bemessung des Gegenstandswerts der volle Wiederbeschaffungswert zugrunde zu legen ist, ergibt sich zwingend aus dem Gesetz: Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB steht dem Geschädigten bei Beschädigung einer Sache die Ersetzungsbefugnis zu. Er kann anstelle der Naturalrestitution auch Geldersatz verlangen. Zu ersetzen ist das Integritätsinteresse, also der Geldbetrag, der zur (Wieder-)Herstellung des Zustands erforderlich ist, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde.[6] Die dem Geschädigten eingeräumte Ersetzungsbefugnis ermöglicht daher einen Schadensausgleich, ohne dass der Geschädigte das verletzte Rechtsgut dem Schädiger zum Zwecke der Naturalrestitution anvertrauen muss. Hat die zerstörte Sache jedoch noch einen Restwert, muss der Geschädigte sie dem Schädiger nach Zahlung des Wiederbeschaffungswerts herausgeben oder sich den Restwert – will er die beschädigte Sache behalten – anrechnen lassen.[7] Der Geschädigte kann auch dann zwischen Herausgabe und Anrechnung wählen, wenn er den Ersatzanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers geltend macht.[8]

Allein dieses Verständnis entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der Geschädigte ist Herr des Restitutionsgeschehens und kann bestimmen, wie er mit der beschädigten Sache verfahren will, ob er sie – unter Anrechnung ihres (Rest-)werts – weiter nutzen oder die beschädigte Sache dem Schädiger gegen Zahlung des der Sache innewohnenden Restwerts zur Verfügung stellen will.[9] Insbesondere dürfen dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die vom Schädiger gewünschten Verwertungsmodalitäten nicht aufgezwungen werden.[10] Bei Zerstörung und Beschädigung einer Sache hat der Geschädigte und nicht der Schädiger die Wahl, sich entweder den Restwert anrechnen zu lassen oder die Sache dem Schädiger herauszugeben.[11]

Der Schädiger hat keinen Anspruch darauf, dass der Geschädigte die Sache behält, einen solchen Anspruch kennt das Gesetz nicht. Dies ist auch folgerichtig, denn der Geschädigte ist Herr des Restitutionsgeschehens und nur er kann bestimmen, selbstverständlich unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots, ob er die Sache behalten will oder nicht. Wenn er anstelle der Naturalrestitution zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands Geldentschädigung verlangt, dann muss er den vollen Schadensbetrag verlangen können und dem Schädiger erwächst nach vollständigem Ausgleich ein Anspruch auf Herausgabe der Sache zum Zwecke der Verwertung derselben, zu welchem Restwert auch immer. Der Geschädigte muss – erst nach vollständigem Schadensausgleich, er ist schließlich Eigentümer der Sache – diese herausgeben.[12]

[7] BGH NJW 1992, 903; Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 249 Rn 19.
[8] Palandt/Grüneberg, a.a.O.; BGH NJW 1993, 2693.
[11] LG Mainz, Urt. v. 20.1.1976 – 6 O 4/75.
[12] Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 249 Rn 19.

IV. Verwertung des beschädigten Fahrzeugs durch den Schädiger

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