Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz. Totalschaden. Restwertanrechnung

 

Leitsatz (amtlich)

Benutzt der Geschädigte im Totalschadensfall (hier: Reparaturkosten höher als 130 % des Wiederbeschaffungswerts) sein unfallbeschädigtes, aber fahrtaugliches und verkehrssicheres Fahrzeug weiter, ist bei der Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten in der Regel der in einem Sachverständigengutachten für den regionalen Markt ermittelte Restwert in Abzug zu bringen (Fortführung von BGH v. 30.11.1999 - VI ZR 219/98, BGHZ 143, 189 ff. = MDR 2000, 330).

 

Normenkette

BGB § 249

 

Verfahrensgang

LG Heilbronn (Urteil vom 09.05.2006; Aktenzeichen 3 S 2/06)

AG Heilbronn (Urteil vom 16.12.2005; Aktenzeichen 14 C 3515/05)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Heilbronn vom 9.5.2006 im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen die Abweisung der Klage in einem 100 EUR nebst Zinsen übersteigenden Betrag in dem Urteil des AG Heilbronn vom 16.12.2005 zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird auf die Berufung des Klägers das Urteil des AG Heilbronn vom 16.12.2005 im Kostenpunkt und in der Sache abgeändert. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner an den Kläger 800 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 14.5.2005 sowie 51,27 EUR zu zahlen.

Die weitergehenden Rechtsmittel des Klägers werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 11 % und haben die Beklagten 89 % gesamtschuldnerisch zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Der Kläger verlangt von den Beklagten restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 26.3.2005, bei dem sein Fahrzeug einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitt. Der Beklagte zu 1) als Fahrer des am Unfall beteiligten Kraftfahrzeugs und die Beklagte zu 2) als dessen Haftpflichtversicherer haben für die Unfallschäden unstreitig in voller Höhe einzustehen. Die Parteien streiten nur noch um die Höhe des Restwerts des Fahrzeugs des Klägers.

[2] Nach dem vom Kläger eingeholten Sachverständigengutachten hat das Fahrzeug einen Wiederbeschaffungswert von 1.800 EUR brutto und einen Restwert von 500 EUR brutto. Den Reparaturaufwand kalkulierte der Sachverständige i.H.v. 2.511,62 EUR brutto. Der Kläger benutzt sein fahrtüchtiges und verkehrssicheres Fahrzeug unrepariert weiter. Mit Schreiben vom 14.4.2005 legte die Beklagte zu 2) dem Kläger zwei Restwertangebote vor. Eines der Angebote belief sich auf 550 EUR brutto, das andere auf 1.300 EUR brutto. Das zuletzt genannte Angebot stammte von einer Firma aus Norddeutschland, die anbot, das Fahrzeug beim Kläger gegen Barzahlung und kostenfrei abzuholen. Die Beklagte zu 2) legte der Schadensabrechnung das Restwertangebot von 1.300 EUR zugrunde und erstattete an den Kläger 500 EUR. Der Kläger errechnet einen Mittelwert von 400 EUR aus den dem Sachverständigengutachten zugrunde liegenden Restwertangeboten von 300 EUR und 500 EUR. Er verlangt mit der Klage weitere 900 EUR nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten. Die zuletzt genannte Forderung haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem AG am 25.11.2005 unstreitig gestellt.

[3] Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

[4] Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit Vorrang vor dem Integritätsinteresse des Geschädigten und seiner Ersetzungsbefugnis habe, wenn sowohl die tatsächlichen Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert als auch der tatsächlich erzielbare Restwert den vom Sachverständigen ermittelten Restwert um mehr als 30 % übersteigen. Unter solchen Umständen würde ein ökonomisch denkender Geschädigter nicht zögern, durch Verkauf seines Unfallfahrzeugs den höheren Restwert zu erzielen. Daher müsse sich der Geschädigte so behandeln lassen, als hätte er dies getan, auch wenn er das Fahrzeug nicht verkaufe, sondern (unrepariert) weiter benutze.

II.

[5] Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Kläger muss sich bei der Schadensabrechnung auf Gutachtensbasis nicht den Restwert von 1.300 EUR anrechnen lassen, obwohl der Sachverständige das verunfallte Fahrzeug nur mit 500 EUR bewertet hat.

[6] 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Geschädigte im Totalschadensfall, wenn - wie hier - die Reparaturkosten des Fahrzeugs den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30 % übersteigen, nur Ersatz der für die Beschaffung eines gleichwertigen Fahrzeugs erforderlichen Kosten, also den Wiederbeschaffungswert abzgl. des Restwerts, verlangen kann. Hingegen hat der Schädiger entgegen der Auffassung der Revision nicht die für eine Reparatur des Fahrzeugs erforderlichen Mittel zu erstatten. Bei Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30 % überschreiten, besteht wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots kein schützenswertes Interesse an der Wiederherstellung des Fahrzeugs. Auch die Ersatzbeschaffung ist Naturalrestitution, deren Ziel sich nicht auf eine (Wieder-)Herstellung der beschädigten Sache beschränkt; es besteht in umfassenderer Weise gem. § 249 Abs. 1 BGB darin, den Zustand herzustellen, der, wirtschaftlich gesehen, der ohne das Schadensereignis bestehenden Lage entspricht (Senatsurteile v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ , = MDR 1992, 131; , 378; 154, 395, ; 162, 161, 164 m.w.N.). Die Ersatzbeschaffung als Variante der Naturalrestitution steht ebenfalls unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit (Senatsurteile v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, 372 = MDR 1992, 131; 143, 189, 193; 163, 362, 365; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, MDR 1992, 851 = VersR 1992, 457; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92, MDR 1993, 622 = VersR 1993, 769; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04, MDR 2005, 330 = CR 2005, 455 = BGHReport 2005, 418 m. Anm. Freyberger = VersR 2005, 381, 382). Das bedeutet, dass der Geschädigte bei der Schadensbehebung gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage grundsätzlich den wirtschaftlichsten Weg zu wählen hat - sog. "subjektbezogene Schadensbetrachtung" (BGH v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, 368 f. = MDR 1992, 131; 115, 375, 378; 132, 373, 376; 143, 189, 193; 163, 362, 365). Will der Geschädigte in einem solchen Fall sein Fahrzeug weiter nutzen, muss er sich den Restwert seines Fahrzeuges anrechnen lassen, auch wenn er diesen nicht realisiert, da ihm ein Integritätsinteresse hinsichtlich des beschädigten Fahrzeugs nicht zugebilligt werden kann. Nach sachgerechten Kriterien ist festzustellen, in welcher Höhe dem Geschädigten angesichts des ihm verbliebenen Restwertes seines Fahrzeuges durch den Unfall überhaupt ein Vermögensnachteil erwachsen ist. Dadurch wird verhindert, dass sich der Geschädigte an dem Schadensfall bereichert (vgl. Senatsurteile v. 29.4.2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395, 398 = BGHReport 2003, 792 = MDR 2003, 1048; 163, 180, 184; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04, MDR 2005, 330 = CR 2005, 455 = BGHReport 2005, 418 m. Anm. Freyberger - a.a.O.).

[7] Im Veräußerungsfall leistet der Geschädigte im Allgemeinen dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. Senatsurteile v. 12.7.2005 - VI ZR 132/04, BGHZ 163, 362, 366 = MDR 2006, 148 = BGHReport 2005, 1517 m. Anm. Freyberger; 143, 189, 193; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, MDR 1992, 851 - a.a.O., 458; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92, MDR 1993, 622 - a.a.O., 770; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04, MDR 2005, 330 = CR 2005, 455 = BGHReport 2005, 418 m. Anm. Freyberger - a.a.O.). Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen. Auch kann er vom Schädiger nicht auf einen höheren Restwerterlös verwiesen werden, der auf einem Sondermarkt durch spezialisierte Restwertaufkäufer erzielt werden könnte (vgl. Senat, Urt. v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04, MDR 2005, 330 = CR 2005, 455 = BGHReport 2005, 418 m. Anm. Freyberger - und BGH v. 12.7.2005 - VI ZR 132/04, BGHZ 163, 362 = MDR 2006, 148 = BGHReport 2005, 1517 m. Anm. Freyberger jeweils a.a.O.).

[8] 2. Damit ist die Auffassung des Berufungsgerichts nicht vereinbar, dass der Kläger sich bei der Schadensabrechnung auf der Grundlage einer Schadensschätzung einen über das Internet ermittelten Restwert i.H.v. 1.300 EUR anrechnen lassen müsse, obwohl der Sachverständige den Restwert des Unfallfahrzeugs lediglich mit 500 EUR bewertet hat und Gesichtspunkte, die auf eine fehlerhafte Begutachtung durch den Sachverständigen hinweisen könnten, von den Beklagten nicht vorgetragen werden und auch nicht ersichtlich sind.

[9] a) Zwar können besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben, ohne Weiteres zugängliche günstigere Verwertungsmöglichkeiten wahrzunehmen und durch die Verwertung seines Fahrzeugs in Höhe des tatsächlich erzielten Erlöses den ihm entstandenen Schaden auszugleichen (vgl. Senat, Urt. v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04, MDR 2005, 330 = CR 2005, 455 = BGHReport 2005, 418 m. Anm. Freyberger - a.a.O.). Doch müssen derartige Ausnahmen, deren Voraussetzungen zur Beweislast des Schädigers stehen, in engen Grenzen gehalten werden, weil anderenfalls die dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde, wonach es Sache des Geschädigten ist, in welcher Weise er mit dem beschädigten Fahrzeug verfährt. Insbesondere dürfen dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von der Versicherung gewünschten Verwertungsmodalitäten nicht aufgezwungen werden. Dies wäre jedoch der Fall, müsste er sich einen Restwert anrechnen lassen, der lediglich in einem engen Zeitraum auf einem Sondermarkt zu erzielen ist.

[10] b) Nutzt der Geschädigte sein Fahrzeug nach dem Unfall weiter, obwohl es wegen der hohen Kosten nicht mehr reparaturwürdig ist, gilt für die Abrechnung des Schadens auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens nichts anderes. Auch in einem solchen Fall kann er den Restwert, der vom Sachverständigen nach den örtlichen Gegebenheiten ermittelt worden ist, der Schadensabrechnung zugrunde legen. Er muss sich nicht an einem Angebot eines Restwerthändlers außerhalb des ihm zugänglichen allgemeinen regionalen Markts festhalten lassen, das vom Versicherer über das Internet recherchiert worden ist. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass andernfalls der vollständige Schadensausgleich nicht gewährleistet würde. Der Versicherer des Schädigers könnte mit einem entsprechend hohen Angebot den Verkauf des Fahrzeugs erzwingen. Bei Weiternutzung und späterem Verkauf in eigener Regie liefe der Geschädigte jedenfalls Gefahr, wegen eines wesentlich niedrigeren Verkaufpreises für den Kauf des Ersatzfahrzeugs eigene Mittel aufwenden zu müssen. Dies entspricht nicht dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes, nach dem der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens ist und grundsätzlich selbst bestimmen darf, wie er mit der beschädigten Sache verfährt (vgl. Senatsurteile , ; , f.; 163, 362, 367). Der Streitfall ist nicht vergleichbar mit den Fällen, in denen das Fahrzeug durch den Geschädigten tatsächlich verkauft wird. Der erzielte Restwert steht dann bei der Schadensabrechnung fest und es liegt auf der Hand, in welcher Höhe der Schaden durch den erzielten Verkaufspreis ausgeglichen ist (vgl. Senatsurteile v. 12.7.2005 - VI ZR 132/04, BGHZ 163, 362, 367 = MDR 2006, 148 = BGHReport 2005, 1517 m. Anm. Freyberger; 163, 180, 185, 187; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04, MDR 2005, 330 = CR 2005, 455 = BGHReport 2005, 418 m. Anm. Freyberger - a.a.O.).

[11] 3. Im Streitfall genügte der Kläger seiner Darlegungs- und Beweislast, indem er der Schadensabrechnung den Restwert, den der Sachverständige ermittelt hatte, zugrunde legte. Soweit die Beklagten geltend machen, er hätte einen höheren Preis erzielen können, wenn er das Fahrzeug an den von ihnen benannten Restwertaufkäufer verkauft hätte, war dazu der Kläger nicht verpflichtet. Da die Beklagten die Schätzung des Sachverständigen für den regionalen Markt des Klägers nicht in Zweifel gezogen haben, ist der Schadensabrechnung der geschätzte Restwert von 500 EUR zugrunde zu legen. Hingegen besteht keine Veranlassung für die Bildung eines Mittelwerts aus Restwertangeboten im Gutachten zwischen 300 EUR und 500 EUR. Dass für das Fahrzeug 500 EUR erzielt werden könnten, ist aufgrund des Sachverständigengutachtens, auf das sich der Kläger stützt, erwiesen. Da ein Verkauf tatsächlich nicht getätigt worden ist, stellt sich die Frage eines geringeren erzielten Kaufpreises nicht (vgl. BGH v. 12.7.2005 - VI ZR 132/04, BGHZ 163, 362, 368 = MDR 2006, 148 = BGHReport 2005, 1517 m. Anm. Freyberger).

III.

[12] Weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf es im Streitfall nicht. Die Sache ist deshalb zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Berufungsurteil und das Urteil des AG sind im Sachausspruch - wie geschehen - abzuändern.

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1717944

BGHZ 2007, 287

BB 2007, 799

NJW 2007, 1674

BGHR 2007, 492

EBE/BGH 2007, 116

ZAP 2007, 643

JA 2007, 548

MDR 2007, 831

NZV 2007, 291

VRS 2007, 407

VersR 2007, 1145

ZfS 2007, 382

KfZ-SV 2007, 29

NJW-Spezial 2007, 209

RdW 2007, 369

VRA 2007, 75

VRR 2007, 264

ZGS 2007, 165

r+s 2007, 259

DS 2007, 188

autorechtaktuell 2007, 20

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