Reparaturkostenerstattung trotz Totalschadens

Die Einschätzungen eines Sachverständigen, dass die Reparaturkosten für ein Auto über der relevanten 130-Prozent-Grenze des Wiederbeschaffungswertes liegen, sind nicht bindend. Gelingt es dem Geschädigten, das Fahrzeug zu einem Betrag reparieren zu lassen, der unter der Grenze liegt, kann er verlangen, die Kosten ersetzt zu bekommen.

Das Auto des Klägers war bei einem Verkehrsunfall massiv beschädigt worden. Der hinzugezogene Sachverständige ermittelte voraussichtliche Reparaturkosten in Höhe von 7.148, 84 Euro, einen Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs von 4.500 Euro und einen Restwert von 1.210 Euro.

Sachverständiger ermittelt Reparaturkosten oberhalb der 130-Prozent-Grenze

Die veranschlagten Reparaturkosten lagen damit bei 158 Prozent des ermittelten Wiederbeschaffungswertes und damit deutlich über der 130-Prozent-Grenze, bis zu der ein Fahrzeug als reparaturwürdig eingestuft wird und der Geschädigte einen Anspruch auf Ersatz der Kosten hat.

Versicherer verweigert Zahlung der Reparaturkosten

Die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers regulierte den Schaden auf Basis des ermittelten Wiederbeschaffungswertes von 4.500 Euro. Von diesem Wert zog sie dann noch den ermittelten Restwert von 1.420 Euro ab und überwies dem Unfallopfer lediglich 3.080 Euro.

Der Geschädigte ließ sein Auto für 5.700 Euro reparieren (126,6 Prozent des Wiederbeschaffungswertes) und nutzte es weiter. Vom Unfallverursacher verlangte er den Ersatz der restlichen Reparaturkosten in Höhe von 2.620 Euro (5.700-3.080 Euro).

Unfallopfer hat Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten

Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht hatten ihm Recht gegeben. Der BGH bestätigte den Anspruch des Klägers. Es bestehe auch dann ein Ersatzanspruch nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, wenn abweichend von der Schätzung des Sachverständigen für die vollständige und fachgerechte Reparatur eines Autos die Kosten unter Berücksichtigung eines merkantilen Minderwerts zwischen 101 und 130 Prozent des Wiederbeschaffungswertes liegen, so wie im vorliegenden Fall.

Das Berufungsgericht habe zu Recht angenommen, dass die Angaben des Sachverständigen zur Höhe der voraussichtlichen Reparaturkosten nicht verbindlich den Betrag beziffern, den der Geschädigte als Schadensersatz gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGG beanspruchen kann.

Gebrauchtteile dürfen genutzt werden, um Reparaturkosten zu drücken

Gelinge es einem Geschädigten, eine Reparatur innerhalb der 130-Prozent-Grenze fachgerecht und in einem Umfang durchzuführen, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage der Kostenschätzung gemacht hat, und stellt er damit den Zustand seines Fahrzeugs wie vor dem Unfall wieder her, um es nach dem Unfall weiter zu nutzen, kann ihm die Integritätsspitze von 30 Prozent nicht versagt werden. Dabei sei es, wie im vorliegenden Fall, auch zulässig, Gebrauchtteile für die Reparatur zu verwenden, um die Kosten zu drücken.

In einem solchen Fall werde der gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ersatzfähige Betrag durch den tatsächlich entstandenen Reparaturaufwand bestimmt und nicht durch die Einschätzung des Sachverständigen.

(BGH, Urteil v. 16.11.2021, VI ZR 100/20)