Das LG hat zutreffend entschieden, dass mit dem Schreiben der Bekl. an den Kl. vom 5.2.2020 eine gemäß § 174 VVG i.V.m. § 16 Abs. 4 AVB SoloBU wirksame Einstellungsmitteilung gegeben ist. Die Bekl. konnte den Kl. gemäß § 2 Abs. 1 i.V.m. § 16 AVB SoloBU auf den tatsächlich ausgeübten Beruf verweisen, auch wenn der Kl. diesen bereits zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses am 8.7.2016 nach einer erfolgreich absolvierten Umschulung nach Eintritt des die Berufsunfähigkeit herbeiführenden Arbeitsunfalls ausgeübt hat. Gem. § 16 Abs. 4 AVB SoloBU entfiel die mit dem Anerkenntnis der Bekl. begründete Leistungspflicht der Bekl. infolge der wirksamen Einstellungsmitteilung mit dem Ablauf des dritten Monats nach Zugang der Erklärung, mithin mit Ablauf des Monats Mai 2020. Ein über den Monat Mai 2020 hinausgehender Leistungsanspruch aus dem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag steht dem Kl. demnach nicht zu.

1. Eine Vergleichstätigkeit nach § 2 AVB SoloBU liegt vor, wenn die aufgezeigte Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und auch in ihrer Vergütung wie in ihrer Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des vor Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübten Berufs absinkt. Hierbei geht es um einen Vergleich der Lebensverhältnisse, der durch die Einkommenslage aber auch durch die soziale Wertschätzung des Berufs (Qualifikationen, Tätigkeitsanforderungen, gesellschaftliches Ansehen etc.) im Rahmen einer Gesamtschau zu bemessen ist (st Rspr, vgl. zu alldem etwa Lücke, in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, § 172 Rn 113 ff. m.w.N.).

Es ist anerkannt, dass Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens gem. § 174 VVG (hier i.V.m. § 16 AVB SoloBU) auch nachträglich entstandene Verweisungsmöglichkeiten sein können, beispielsweise aufgrund von verbesserten Einkommensverhältnissen im tatsächlich ausgeübten Beruf. Der VR kann dabei sogar auf einen Beruf verweisen, der vom Versicherten bei Abgabe des Anerkenntnisses bereits tatsächlich ausgeübt wurde (vgl. Dörner, in: Langheid/Wandt, Münch Komm VVG, 2. Aufl. 2017, § 174 Rn 13; Mangen, in: BeckOK VVG, Stand: 1.8.2022, § 174, Rn 17; OLG Brandenburg Urt. v. 24.3.2021 – 11 U 152/18, Juris Rn 31 m.w.N. …).

Dies ergibt sich auch aus den zwischen den Parteien vereinbarten AVB. Nach § 16 Abs. 1 AVB SoloBU ist der VR berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit nach dem zeitlich hier nicht begrenzten Anerkenntnis nachzuprüfen. Insbesondere, aber nicht nur, kann danach erneut geprüft werden, ob eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 AVB SoloBU ausgeübt wird.

Eine Verweisung im Rahmen einer Nachprüfungsentscheidung ist indes ausgeschlossen, wenn der VR im Zeitpunkt der Abgabe des Anerkenntnisses bestehende Möglichkeiten einer Verweisung auf Vergleichstätigkeiten nicht wahrgenommen hat (BGH, Urt. v. 17.2.1993 – IV ZR 206/91, Juris Rn 37; BGH Urt. V. 3.11.1999 – IV ZR 155/98 …).

Für die insoweit vorzunehmende Vergleichsbetrachtung der Veränderung der Einkommenssituation seit der Abgabe des Anerkenntnisses ist darauf abzustellen, welche Informationen dem VR, der – wie hier – alles zur Ermittlung Erforderliche getan hat, zum Anerkenntniszeitpunkt über das zu erzielende Einkommen im alten und neuen Beruf vorlagen. Die Bindungswirkung des Anerkenntnisses kann im Hinblick auf die Einkommenssituation nur so weit gehen, wie dem VR, der in diesem Sinne alles getan hat, Informationen vorgelegen haben (vgl. Rixecker, in: Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl. 2022, § 174, Rn 15; KG, Beschl. v. 9.10.2018 – 6 U 64/18, Juris Rn 8).

Dies ergibt sich im vorliegenden Fall auch bereits daraus, dass der Kl. nach § 13 Abs. 1 lit. d) AVB SoloBU gehalten war, Unterlagen über die finanzielle Lebensstellung aus seiner beruflichen Tätigkeit und deren Veränderungen vor und nach Eintritt der Berufsunfähigkeit zur Verfügung zu stellen. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Bekl. nur bei Vorliegen aller Informationen, die Einfluss auf die Beurteilung der finanziellen Lebensstellung aus der beruflichen Tätigkeit haben, einen umfassenden Vergleich anstellen und die Bekl. diese Informationen nur durch eine (rechtzeitige) Mitwirkung des Kl. erlangen kann. Würde man allein auf objektiv gegebene Umstände abstellen – und nicht auf die der Bekl. zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses vorliegenden Informationen wäre es dem Kl. aufgrund der vereinbarten Obliegenheit zur umfassenden Information jedenfalls nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB versagt, sich auf das objektive Vorliegen eines Umstands bereits bei Abgabe des Anerkenntnisses zu berufen, wenn er zuvor die Obliegenheit zur Information über diesen Umstand verletzt hat.

2. Auf dieser Grundlage ist das LG zutreffend davon ausgegangen, dass der Kl. als Sachbearbeiter in der mechanischen Werkstoffprüfung eine mit dem vor dem Arbeitsunfall ausgeübten Beruf als Produktionsmitarbeiter in der Verfahrenstechnik vergleichbare Tätigkeit ausübt. Die Bekl. hat den Kl. auf die Tätigkeit verwiesen, die er ausübt und die er schon zur Ze...

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