Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeitsversicherung: Nachprüfungsentscheidung, Veränderung der Umstände und Kenntnis des Versicherers

 

Leitsatz (amtlich)

Leistungsfreiheit des Berufsunfähigkeitsversicherers nach § 174 VVG (Entfallen der Voraussetzungen der Leistungspflicht) setzt eine Veränderung der Umstände voraus. Bei dem Vergleich "damals/jetzt" kann indes, wenn es um die Einkommensverhältnisse des Versicherungsnehmers geht und der Versicherer damals alles zur Ermittlung Erforderliche getan hat, auf den damaligen Kenntnis des Versicherers abzustellen sein (so auch hier).

 

Verfahrensgang

LG Hagen (Aktenzeichen 9 O 85/21)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

 

Gründe

I. Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist, § 522 Abs. 2 S.1 ZPO.

Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass mit dem Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 05.02.2020 eine gemäß § 174 VVG i.V.m. § 16 Abs. 4 AVB SoloBU wirksame Einstellungsmitteilung gegeben ist. Die Beklagte konnte den Kläger gemäß § 2 Abs. 1 i.V.m § 16 AVB SoloBU auf den tatsächlich ausgeübten Beruf verweisen, auch wenn der Kläger diesen bereits zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses am 08.07.2016 nach einer erfolgreich absolvierten Umschulung nach Eintritt des die Berufsunfähigkeit herbeiführenden Arbeitsunfalls ausgeübt hat. Gem. § 16 Abs. 4 AVB SoloBU entfiel die mit dem Anerkenntnis der Beklagten begründete Leistungspflicht der Beklagten infolge der wirksamen Einstellungsmitteilung mit dem Ablauf des dritten Monats nach Zugang der Erklärung, mithin mit Ablauf des Monats Mai 2020. Ein über den Monat Mai 2020 hinausgehender Leistungsanspruch aus dem Berufsunfähigkeits-versicherungsvertrag steht dem Kläger demnach nicht zu.

1. Eine Vergleichstätigkeit nach § 2 AVB SoloBU liegt vor, wenn die aufgezeigte Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und auch in ihrer Vergütung wie in ihrer Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des vor Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübten Berufs absinkt. Hierbei geht es um einen Vergleich der Lebensverhältnisse, der durch die Einkommenslage aber auch durch die soziale Wertschätzung des Berufs (Qualifikationen, Tätigkeitsanforderungen, gesellschaftliches Ansehen, etc.) im Rahmen einer Gesamtschau zu bemessen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. zu alldem etwa Lücke, in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, § 172 Rn. 113 ff. m.w.N.).

Es ist anerkannt, dass Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens gem. § 174 VVG (hier i.V.m. § 16 AVB SoloBU) auch nachträglich entstandene Verweisungsmöglichkeiten sein können, beispielsweise aufgrund von verbesserten Einkommensverhältnissen im tatsächlich ausgeübten Beruf. Der Versicherer kann dabei sogar auf einen Beruf verweisen, der vom Versicherten bei Abgabe des Anerkenntnisses bereits tatsächlich ausgeübt wurde (vgl. Dörner, in: Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG, 2. Aufl. 2017, § 174 Rn. 13; Mangen, in: BeckOK VVG, Stand: 01.08.2022, § 174, Rn. 17; OLG Brandenburg Urt. v. 24.03.2021 - 11 U 152/18, Juris Rn. 31 m.w.N; Senat, Beschl. v. 17.05.2006 - 20 U 31/06). Dies ergibt sich auch aus den zwischen den Parteien vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Nach § 16 Abs. 1 AVB SoloBU ist der Versicherer berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit nach dem zeitlich hier nicht begrenzten Anerkenntnis nachzuprüfen. Insbesondere, aber nicht nur, kann danach erneut geprüft werden, ob eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 AVB SoloBU ausgeübt wird.

Eine Verweisung im Rahmen einer Nachprüfungsentscheidung ist indes ausgeschlossen, wenn der Versicherer im Zeitpunkt der Abgabe des Anerkenntnisses bestehende Möglichkeiten einer Verweisung auf Vergleichstätigkeiten nicht wahrgenommen hat (BGH, Urt. v. 17.02.1993 - IV ZR 206/91, Juris Rn. 37; BGH Urt. v. 03.11.1999 - IV ZR 155/98; OLG Brandenburg Urt. v. 24.03.2021 - 11 U 152/18, Juris Rn. 31; Senat, Beschl. v. 17.05.2006 - 20 U 31/06, Juris Rn. 34).

Für die insoweit vorzunehmende Vergleichsbetrachtung der Veränderung der Einkommenssituation seit der Abgabe des Anerkenntnisses ist darauf abzustellen, welche Informationen dem Versicherer, der - wie hier - alles zur Ermittlung Erforderliche getan hat, zum Anerkenntniszeitpunkt über das zu erzielende Einkommen im alten und neuen Beruf vorlagen. Die Bindungswirkung des Anerkenntnisses kann im Hinblick auf die Einkommenssituation nur so weit gehen, wie dem Versicherer, der in diesem Sinne alles getan hat, Informationen vorgelegen haben (vgl. Rixecker, in: Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl. 2022, § 174, Rn. 15; KG, Besc...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge