Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung neu hinzuerworbener Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

Stellen die AVB weder im Zusammenhang mit der Definition der Berufsunfähigkeit noch hinsichtlich des Nachprüfungsverfahrens auf Kenntnisse und Fähigkeiten ab, so ist es dem Versicherer nicht verwehrt, den Versicherungsnehmer auf eine solche Tätigkeit zu verweisen, die er infolge einer nach Anerkennung der Leistungspflicht vollzogenen Umschulung oder Weiterbildung ausübt (Anschluss an OLG München r+s 2016, 479 und OLG Stuttgart, BeckRS 2016, 3584; entgegen LG Nürnberg-Fürth, r+s 2018, 209). Für die Nachprüfungsentscheidung kommt es in einem solchen Fall in materieller Hinsicht nur auf die Wahrung der bisherigen Lebensstellung und die gesundheitlichen Voraussetzungen an.

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Urteil vom 15.06.2020; Aktenzeichen 33 O 2031/18)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 15.06.2020, Az. 33 O 2031/18, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 47.724,05 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über Leistungen aus einer selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung.

Der seit dem 01.11.2001 bestehende Vertrag sieht im Falle einer mindestens 50%-igen Berufsunfähigkeit eine monatlich, längstens bis zum 31.10.2043 zu zahlende Rente von 767,00 EUR zzgl. Leistungen aus der Überschussbeteiligung vor (Anlage K 1). Die in den Vertrag einbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten (Anlage K 2; im Folgenden: AVB-BU) enthalten u.a. folgende Klauseln:

§ 2 - Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?

(1) Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens 3 Jahre außerstande sein wird, ihren Beruf (bei Selbständigen auch nach einer zumutbaren Umorganisation des Betriebes) auszuüben und sie auch keine andere Tätigkeit ausübt, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.

...

§ 13 - Was gilt für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit?

(1) Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wir berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad nachzuprüfen; dies gilt auch für zeitlich begrenzte Anerkenntnisse nach § 12. Dabei können wir erneut prüfen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ausübt.

... Seit dem 01.09.2008 war der damals 25-jährige Kläger wegen eines Bandscheibenvorfalls mit anschließender Operation der Lendenwirbelsäule nicht mehr in der Lage, seine berufliche Tätigkeit als Anlagenmechaniker (Schweißer im Rohr- und Behälterbau) auszuüben. Mit Schreiben vom 01.04.2010 erkannte die Beklagte erstmals ihre Leistungspflicht an (Anlage K 3), gemäß späterem Schreiben rückwirkend zum 01.09.2008 (Anlage K 4). Die monatliche Rentenzahlung betrug 776,70 EUR.

Im Anschluss an entsprechende Nachprüfungen teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 18.12.2013 (Anlage K 5) und vom 14.06.2016 (Anlage K 6) mit, dass die Leistungen weiter erbracht werden.

Nach erfolgter Weiterbildung und Umschulung war der Kläger als Maschinenbautechniker und Konstrukteur tätig, zuletzt seit Januar 2017 bei der Fa. M. Im Zuge einer erneuten Nachprüfung mit ärztlicher Untersuchung teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 11.04.2017 mit, dass sie ihre Leistungen ab 01.06.2017 einstellen werde (Anlage K 8). Ein bedingungsgemäßer Grad der Berufsunfähigkeit von mindestens 50% werde mit Aufnahme der neuen Tätigkeit seit Januar 2017 nicht mehr erreicht. Diese neue Tätigkeit sei dem Kläger zumutbar und wahre dessen Lebensstellung.

Der Kläger hat in erster Instanz insbesondere geltend gemacht, eine Verweisung auf die aktuelle Tätigkeit komme nicht in Betracht. Diese Tätigkeit sei der Beklagten bereits anlässlich der vorhergehenden Nachprüfungen bekannt gewesen. Seit 2010 habe die Beklagte gewusst, dass sich der Kläger in einer Umschulung befunden habe. Seit September 2011 habe die Beklagte ferner gewusst, dass der Kläger in Vollzeit als Maschinenbautechniker tätig sei. Im Januar 2017 sei es lediglich zu einem Arbeitgeberwechsel gekommen.

Ferner sei die Berücksichtigung neuer Fähigkeiten in den AVB-BU nicht vorgesehen, so dass der Kläger nicht auf einen Beruf verwiesen werden dürfe, den er nur nach erfolgter Umschulung ausüben könne.

Außerdem sei die Einstellungsmitteilung der Beklagten (Anlage K 8) inhaltlich verworren und genüge nicht den formellen Anforderungen.

Der Kläger hat in erster Instanz (zusam...

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