Berufsunfähig, obwohl in einem neuen Beruf tätig?

Muss eine Versicherung eine Berufsunfähigkeitsrente weiterzahlen, auch wenn der Versicherte sich – freiwillig – fortgebildet hat und inzwischen in Vollzeit einem anderen Beruf nachgeht?

Ein 25-jähriger Anlagenmechaniker hatte im September 2008 einen Bandscheibenvorfall erlitten und konnte trotz einer Operation seinen Beruf seitdem nicht mehr ausüben. Die private Berufsunfähigkeitsversicherung zahlte dem Mann eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 776 Euro und setzte die Zahlung auch nach einer Nachprüfung im Jahr 2013 fort.

Nachprüfung: Keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit von mindestens 50 Prozent mehr

Im Zuge einer neuerlichen Nachprüfung mit ärztlicher Untersuchung teilte die Versicherung dem Mann  mit, dass sie  die Zahlungen einstellen werde, da keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit von mindestens 50 Prozent mehr vorliege. Hintergrund: Der Mann hatte sich weitergebildet und umgeschult und war inzwischen als Maschinenbautechniker und Konstrukteur tätig. Die Versicherung argumentierte, diese neue Tätigkeit sei dem Mann zumutbar und wahre auch dessen Lebensstellung.

Der Versicherte hatte dagegen argumentiert, eine Verweisung auf die aktuelle Tätigkeit komme nicht in Betracht. Die Tätigkeit sei der Versicherung bereits anlässlich der vorangegangenen Nachprüfungen bekannt gewesen. Sie habe bereits seit 2010 gewusst, dass er sich in einer Umschulung befunden habe.

Versicherter meint, er könne nicht auf neuen Beruf nach Umschulung verwiesen werden

Zudem sei die Berücksichtigung neuer Fähigkeiten in den zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB-BU) nicht vorgesehen. Er könne deshalb nicht auf einen Beruf verwiesen werden, den er nur nach erfolgter Umschulung ausüben könne.

Das Landgericht hatte dem Mann noch recht gegeben und seinen Anspruch auf die BU-Leistungen bestätigt. Mangels vertraglicher Regelung seien die neu erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse bei der Verweisung auf einen anderen Beruf nicht zu berücksichtigen. Der Mann sei auch nicht verpflichtet gewesen, sich einer Umschulungsmaßnahme zu unterziehen.

Das OLG Nürnberg kam zu einer anderen Beurteilung. Das Gericht entschied, dass die Versicherung die Zahlungen  einstellen durfte.

Versicherer darf auf tatsächlich ausgeübte Tätigkeit verweisen

Die dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Bedingungen erlauben es der Versicherungsgesellschaft, den Versicherten auf eine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit zu verweisen (konkrete Verweisung; § 2 Abs. 1 AVB-BU). Die gilt auch im Nachprüfungsverfahren, also für Tätigkeiten, die der Versicherungsnehmer nach Anerkennung der Leistungspflicht aufgenommen hat (§13 Abs. 1 AVB-BU).

Neu erworbene Kenntnisse, die eine neue Berufstätigkeit ermöglichen sind relevant…

Die Versicherung dürfe auch eine Tätigkeit berücksichtigen, die die versicherte Person aufgrund von Kenntnissen und Fähigkeiten ausübt, die sie nach Eintritt des Versicherungsfalls neu hinzuerworben hat.

…aber keine Pflicht zum Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten

..Das Gericht stellte in dem Zusammenhang klar, dass dem nicht entgegenstehe, dass die Allgemeinen Versicherungsbedingungen den Versicherungsnehmer nicht zum Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten verpflichten. Ebenso wenig sei der Versicherte aus sonstigen Gründen gehalten, sich fortzubilden oder umschulen zu lassen.

(OLG Nürnberg, Urteil v. 7.11.2022, 8 U 2115/20)

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