Meldestelle für Hinweisgeber mitbestimmungspflichtig
Die Entscheidung über das „Ob“ der Einrichtung einer Meldestelle fällt in die Organisationsfreiheit des Arbeitgebers, die Ausgestaltung des Meldeverfahrens unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats. Dieser Grundsatz gilt nach einer Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein auch für die Fälle der Auslagerung der Meldestelle an externe Dritte.
Meldestelle nach dem Hinweisgeberschutzgesetz eingerichtet
Ein Verpackungen, Displays und andere Erzeugnisse produzierendes Unternehmen mit ca. 230 Mitarbeitern hatte sich im Jahr 2023 zur Einrichtung einer internen Meldestelle für Hinweisgeber nach dem Hinweisgeberschutzgesetz entschlossen. Mittels eines Aushangs wurde den Beschäftigten mitgeteilt, es werde eine Meldestelle extern bei einer Steuerberatungs- und Rechtsanwaltskanzlei eingerichtet, die bereits für das Unternehmen tätig gewesen sei. An diese Stelle könnten sich Mitarbeiter vertraulich mit Meldungen über Missstände im Betrieb, über Verstöße gegen Arbeitsschutzbestimmungen oder mit sonstigen rechtlich relevanten Beobachtungen wenden. Jede Meldung würde geprüft. Darüber hinaus enthielt der Aushang etliche Hinweise zu den Modalitäten des Meldeverfahrens.
Betriebsrat zog vors Arbeitsgericht
Der Betriebsrat war mit dieser Form der Implementierung einer Meldestelle nicht einverstanden und sah sich in seinen Mitbestimmungsrechten verletzt. Beim ArbG beantragte er die Untersagung der Einrichtung einer Meldestelle ohne seine Zustimmung bzw. ohne Ersetzung seiner Zustimmung durch einen Spruch der Einigungsstelle. Das ArbG gab dem Antrag statt. Hiergegen legte das Unternehmen Beschwerde beim LAG ein.
Das „Ob“ einer Meldestelle ist mitbestimmungsfrei
Das LAG wies die Beschwerde als unbegründet zurück und bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Wie schon zuvor das Arbeitsgericht wies das LAG daraufhin, dass Betriebe mit in der Regel 50 oder mehr Beschäftigten gemäß § 12 ff HinSchG zur Einrichtung einer internen Meldestelle verpflichtet sind. Das „Ob“ der Einrichtung einer Meldestelle sei damit mitbestimmungsfrei.
Die Ausgestaltung des Meldeverfahrens ist mitbestimmungspflichtig
Die Festlegung der Modalitäten eines Meldeverfahrens unterliegt nach Auffassung des LAG demgegenüber der Mitbestimmungspflicht des Betriebsrats. Die Ausgestaltung, also das „Wie“ einer Meldestelle, betreffe das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb und beeinflusse dieses. Gemäß § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG habe der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb ein Mitbestimmungsrecht. Das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer sei immer dann berührt, wenn eine Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung im Betrieb zielt (BAG, Beschluss v. 28.7.2020,1 ABR 41/18). Exakt diesen Sinn einer solchen Einflussnahme hat nach Einschätzung des LAG die Einrichtung einer Meldestelle für Hinweise auf betriebliche Missstände.
Festlegung der Meldewege nicht ohne den Betriebsrat
Damit werde die inhaltliche Ausgestaltung einer das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer beeinflussenden Meldestelle vom Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats umfasst (BAG, Beschluss v. 21.7.2009, 1 ABR 42/08). Demnach sei bei der konkreten Ausgestaltung einer Meldestelle wie der Frage der Organisation der Meldewege nach § 16 Abs. 3 Satz 1 HinSchG (fernmündlich, textlich etc.) immer der Betriebsrat hinzuzuziehen.
Meldestelle hat potentiellen Einfluss auf Arbeitnehmerverhalten
Den Hinweis der Arbeitgeberin, bei der internen Meldestelle handele es sich nur um ein unverbindliches Angebot an die Arbeitnehmer ohne Nutzungspflicht, hielt das LAG für nicht relevant. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG genüge es für die Bejahung einer Mitbestimmungspflicht, dass die betreffende Maßnahme des Arbeitgebers grundsätzlich geeignet ist, das Verhalten der Arbeitnehmer zu beeinflussen (BAG, Beschluss v. 18.4.2000, 1 ABR 42/08).
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats im Ergebnis verletzt
In Ihrem betrieblichen Aushang, mit dem auf die Einrichtung der Meldestelle hingewiesen wurde, hatte die Arbeitgeberseite nach der Bewertung des LAG unter Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats umfangreiche Modalitäten zur Ausgestaltung des Meldeweges vorgegeben. Daran ändere die Auslagerung der Meldestelle an eine externe Anwaltskanzlei nichts. Zwar könne ein Arbeitgeber die Meldestelle auslagern, dürfe hierdurch aber die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht umgehen. Der Arbeitgeber müsse in diesem Fall durch vertragliche Regelungen mit der Auslagerungsstelle sicherstellen, dass die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gewahrt bleiben.
(LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 8.7.2025, 2 TaBV 16/24
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