100.000 EUR für Jurastudenten wegen Kündigung des Aushilfsjobs
Der Jurastudent hatte in den Vorlesungen zum Arbeitsrecht wahrscheinlich besonders gut aufgepasst. Er überzog seine Arbeitgeberin nach einer fristlosen Kündigung seines Aushilfsjobs erfolgreich mit einer Kündigungsschutz- und Schadensersatzklage. Vom LAG München erhielt er Schadenersatz in ungewöhnlichem Umfang zugesprochen.
Jurastudent wollte Betriebsrat gründen
Der Kläger des vom LAG München entschiedenen Verfahrens war während seines Jurastudiums in einer bekannten Münchener Brauereigaststätte als Aushilfe unter dem Beschäftigtenstatus „Student (familienversichert)“ und als „Kellner/Bar“ tätig. Als er gemeinsam mit weiteren Arbeitnehmern Anstalten machte, einen Betriebsrat zu gründen, weigerte sich die Arbeitgeberin, den Studenten weiter zu beschäftigen. Dieser forderte dennoch seinen Lohn unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Darauf forderte die Arbeitgeberin ihn auf, zur Arbeit zu erscheinen. Er sollte aber nicht mehr im Service arbeiten dürfen, sondern in der Küche als Küchenhilfe arbeiten.
Kündigung gerechtfertigt?
Die Ablehnung dieses Ansinnens wertete die Arbeitgeberin als Arbeitsverweigerung und erklärte die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Hiergegen reichte der Student Kündigungsschutzklage ein. Die Arbeitgeberin machte geltend, der Student sei lediglich in Teilzeit in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis angestellt gewesen. Er sei 24 Jahre alt, noch jung, habe keine Kinder und keine Unterhaltspflichten, sodass die Kündigung für ihn auch keine unzumutbare Härte bedeute. Diese Erklärung hätte die Arbeitgeberin besser nicht abgegeben.
Kläger schob weitere Klageanträge nach
Der Student erweiterte seinen Kündigungsschutzantrag daraufhin um einen Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens nach § 15 Abs. 2 AGG. Die Erläuterungen zur Kündigung durch die Beklagte enthielten nach seiner Auffassung eine Diskriminierung wegen seines Alters. Daneben werde er als Teilzeitbeschäftigter gegenüber Vollzeitbeschäftigten unangemessen benachteiligt. Schließlich ergänzte der Student seine Klageanträge um eine größere Reihe weiterer Ansprüche, darunter auf Zahlung von Annahmeverzugslohn und auf einen Ausgleich für entgangene Trinkgelder.
Parteierweiterung auf den GmbH-Geschäftsführer
Das in erster Instanz zuständige ArbG gab der Kündigungsschutzklage statt, wies aber die weitergehenden Anträge zurück. Dem ArbG waren die Darlegungen des Klägers zu seinen diversen Schadenersatzansprüchen zu wenig substantiiert. Der Kläger legte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein. Nach einer zwischenzeitlich eingetretenen Insolvenz der Betreiber-GmbH der Gaststätte erweiterte der Kläger die Berufung auf den bisherigen Geschäftsführer persönlich.
Verletzung der Arbeitgeberpflichten durch Nichteinteilung zum Dienst
Die Berufung des Jurastudenten hatte weitgehend Erfolg. Das LAG kam zu dem Ergebnis, dass die Beklagte ihn wegen seiner Aktivitäten zur Gründung eines Betriebsrats nicht mehr zum Dienst eingeteilt habe. Das LAG wertete die Nichteinteilung zum Dienst als vorsätzliche Verletzung der arbeitgeberseitigen Pflichten gemäß § 20 Abs. 2 BetrVG. Nach dieser Vorschrift darf der Arbeitgeber die Wahl eines Betriebsrats nicht durch Zuführung oder Androhung von Nachteilen beeinflussen. Genau dies habe die Beklagte durch ihre Reaktion auf die Betriebsratsinitiative des Klägers aber getan.
Gastronomiebetrieb zum Schadenersatz verpflichtet
Wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes sei die Beklagte daher gemäß § 823 Abs. 2 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Dies betreffe sowohl den Verdienstausfall - vom Gericht errechnet auf der Grundlage des geschuldeten Mindestlohns - als auch entgangene Trinkgelder - durchschnittlich 100 EUR pro Schicht - für die Jahre 2020-2023. Beides habe der Kläger hinreichend substantiiert dargelegt. Die dem Studenten zustehenden vergünstigten Speisen und Getränke während der Schicht bewertete das Gericht als Sachbezüge, die in der Schadensberechnung ebenfalls zu berücksichtigen seien.
Geschäftsführerhaftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes
Das Gericht teilte auch die Auffassung des Klägers, dass der bisherige Geschäftsführer persönlich für die Ansprüche des Studenten einzustehen hat. Die Geschäftsführerhaftung greife ein, weil der Geschäftsführer durch vorsätzliches Tun - fristlose Kündigung wegen Betriebsratsinitiative - schuldhaft ein Schutzgesetz, nämlich § 20 Abs. 2 BetrVG verletzt habe. Aus diesem Grunde könne der Geschäftsführer keine Haftungsprivilegierung für sich in Anspruch nehmen. Er stehe gemäß § 823 Abs. 2 BGB aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung persönlich in der Haftung.
Parteierweiterung in der Berufungsinstanz ausnahmsweise zulässig
Die erst in der Berufung erklärte Parteierweiterung auf den Geschäftsführer hielt das Gericht für zulässig. Der Geschäftsführer sei bereits erstinstanzlich im Prozess aufgetreten. Er kenne den gesamten Prozessverlauf. Die Klageerweiterung auf ihn persönlich sei nach der eingetretenen Insolvenz der Beklagten sachdienlich und müsse vom Geschäftsführer hingenommen werden. Die seitens des Geschäftsführers erklärte Verweigerung der Zustimmung zur Parteierweiterung sei rechtsmissbräuchlich.
Großteil der geltend gemachten Ansprüche begründet
Im Ergebnis war nach Auffassung des LAG nicht nur die Klage auf Schadenersatz begründet, sondern auch der geltend gemachte Anspruch auf Annahmeverzugslohn für die Zeiten, in denen er keine Aufforderung vom Arbeitgeber erhalten habe, seinen Dienst anzutreten. Voraussetzung für den Annahmeverzug sei im konkreten Fall auch nicht das ausdrückliche Angebot des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Zu einem ausdrücklichen Angebot sei der Arbeitnehmer bei einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung, wie sie im konkreten Fall bestanden habe, nicht verpflichtet. Der Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn entstehe bei einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung schon dadurch, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht mehr zum Dienst einteile (BAG, Urteil v. 26.1.2011, 5 AZR 819/09).
Kläger hat Anspruch auf bezahlten Urlaub
Daneben bejahte das LAG einen Anspruch des Klägers auf rund 6 Monate bezahlten Urlaub. Der damalige Arbeitgeber habe den Kläger zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass er ein Recht auf Urlaub habe. Ein solcher Hinweis sei eine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers (EuGH, Urteil v. 6.11.2018, C – 684/16). Die Verletzung dieser Obliegenheit habe zur Folge, dass der Urlaub nicht verfalle. Dem Kläger seien daher 29 zusammenhängende Wochen Urlaub zu gewähren.
Arbeitgeber muss sich für Diskriminierung entschuldigen
Schließlich hatte der Kläger nach Auffassung des LAG auch schlüssig eine Diskriminierung durch die Beklagte wegen seines Alters dargelegt. Im Rahmen des Schadenersatzes in Form von Naturalrestitution (EuGH, Urteil v. 4.10.2024, C-507/23) habe sich das beklagte Unternehmen, das den Gastronomiebetrieb im Wege des Betriebsübergangs übernommen habe, daher bei dem Kläger schriftlich für den unangemessenen Hinweis auf dessen jugendliches Alter als Rechtfertigung für die fristlose Kündigung zu entschuldigen.
(LAG München, Teilurteil v. 16.5.2025 u. Schlussurteil v. 4.6.2025, 11 Sa 456/23)
-
Personalgespräch - Rechte und Pflichten des Arbeitnehmers
1.6271
-
Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers
1.035
-
Rolle des Integrationsamts bei Kündigung schwerbehinderter Menschen
8571
-
Mutterschutzlohn: Anspruch und Berechnung im individuellen Beschäftigungsverbot
820
-
Wenn Arbeitnehmer die Kündigungsfristen nicht einhalten
613
-
Worauf ist bei Abmahnungen zu achten?
598
-
Betriebsferien: Wann kann der Arbeitgeber Urlaub anordnen?
596
-
Kündigung gegenüber einem minderjährigen Auszubildenden
472
-
Krankmeldung aus dem Ausland: Welche Vorgaben sind zu beachten?
442
-
Ist das Ausrutschen auf der betrieblichen Toilette ein Arbeitsunfall?
440
-
Kryptowährung als Arbeitsentgelt ist zulässig
22.12.2025
-
Skiunfall ist kein Arbeitsunfall
01.12.2025
-
Kündigung nach online erworbener AU-Bescheinigung ohne ärztliche Untersuchung
18.11.2025
-
Sturz beim Kaffeeholen kann Arbeitsunfall sein
06.10.2025
-
Meldestelle für Hinweisgeber mitbestimmungspflichtig
12.09.2025
-
Worauf ist bei Abmahnungen zu achten?
19.08.2025
-
100.000 EUR für Jurastudenten wegen Kündigung des Aushilfsjobs
30.07.2025
-
Misslungener Zeugenbeweis für den Zugang einer Kündigung
10.07.2025
-
Sturz beim Kaffeetrinken kann Arbeitsunfall sein
02.07.2025
-
Unzulässige Kündigung eines angestellten Rechtsanwalts
10.06.2025