Einführung

Die Lebensversicherung mit Bezugsrecht ist ein klassisches Gestaltungsmittel an der Schnittstelle zwischen vorweggenommener Erbfolge und letztwilliger Verfügung. Trotz fundierter Kritik[1] fällt die Versicherungssumme nach ständiger Rechtsprechung[2] nicht in den Nachlass. Der BGH hat mit seinem Urteil vom 28.4.2010[3] einen neuen Weg zur Behandlung von Lebensversicherungen im Recht der Pflichtteilsergänzung geebnet. Nahezu zeitgleich war die Lebensversicherung in unterschiedlichen Facetten Gegenstand obergerichtlicher und höchstrichterlicher Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Nachlassinsolvenzrecht. Die Auswertung dieser Entscheidungen zeigt, dass es auch im Verhältnis zwischen Nachlassinsolvenzverwalter und Bezugsberechtigtem zu dem viel zitierten "Wettlauf"[4] um das Versicherungsguthaben kommen kann.

[1] Peters, ZErb 2010, 195 mwN.
[3] IV ZR 73/08 – ZErb 2010, 189 m. krit. Anm. Progl (194); ZEV 2010, 305 m. krit. Anm. Wall sowie Herrler, ZEV 2010, 333.
[4] BGH, ZErb 2008, 355 = ZEV 2008, 392 mit Anmerkung Leipold; Bredemeyer, ZEV 2010, 288, 291.

A. Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme

1. Gläubiger des Auszahlungsanspruchs

1.1 Wenn der Erblasser eine Kapitallebensversicherung abschließt und einem Dritten das Bezugsrecht einräumt, entsteht im Todesfall der Auszahlungsanspruch in der Person des Begünstigten automatisch.[5] Mit der VVG-Reform ist die Beschränkung auf Kapitallebensversicherungen entfallen.[6] Im Falle einer reinen Risikolebensversicherung ohne Ansparkomponente verhält es sich deshalb genauso. Im Deckungsverhältnis zwischen dem Versicherer und dem Erblasser kommt somit ein Vertrag zugunsten Dritter im Sinne der §§ 328, 331 BGB zustande. Formbedürftig ist die Vereinbarung dieses Deckungsverhältnisses nicht.[7]

1.2 Im Vollzugsverhältnis zwischen dem Versicherer und dem Bezugsberechtigten besteht keine vertragliche Vereinbarung.

1.3 Das zugrunde liegende Valutaverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Bezugsberechtigtem wird nach allgemeiner Meinung als Schenkung unter Lebenden aufgefasst.[8] Ob und wann ein Schenkungsvertrag wirksam zustande kommt, hängt maßgeblich davon ab, ob und wann der Bezugsberechtigte von der Zuwendung erfährt. Geschieht dies rechtzeitig – also vor Zugang einer Widerrufserklärung des Erben gem. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB –, bedarf es seiner ausdrücklichen Annahmeerklärung wegen § 151 BGB nicht. Bis zur Kenntnis der Zuwendung beim Begünstigten besteht – egal, ob das Bezugsrecht widerruflich oder unwiderruflich eingeräumt wurde[9] – kein Schenkungsvertrag. Überbringt das Versicherungsunternehmen als Bote das Schenkungsangebot des Erblassers,[10] kommt der Vertrag zustande. Der Mangel der gesetzlich vorgeschriebenen Form wird gemäß § 518 BGB durch die Bewirkung der Leistung geheilt. Die Leistung liegt nicht erst in der tatsächlichen Ausbezahlung der Versicherungssumme. Der Bezugsberechtigte hat die Forderung – unabhängig von jeglicher Kenntnis – gemäß § 331 Abs. 1 BGB schon mit dem Todesfall dinglich erworben. Darin liegt die schenkungsrechtliche Bewirkung der Leistung.

1.4 Hat der Bezugsberechtigte Kenntnis von der Zuwendung des Erblassers – sei es aufgrund einer Mitteilung des Versicherungsunternehmens, sei es aufgrund persönlicher Absprachen mit dem Erblasser schon zu dessen Lebzeiten – erhalten, kann er von der Versicherung sofort die Auszahlung der Versicherungssumme verlangen. Ob das Bezugsrecht widerruflich oder unwiderruflich eingeräumt worden ist, spielt dabei keine Rolle.

1.5 Gelingt es dem Erben, den Weg des Schenkungsangebots zum Bezugsberechtigten zu blockieren oder lässt er ihm vorher den Widerruf des Angebots zukommen, darf dieser die zunächst erworbene Forderung jedoch nicht behalten. Der Erbe kann sie kondizieren, denn mangels Schenkungsvertrags fehlt die Causa für den Erwerb der Forderung. Der Erbe befindet sich deshalb im Wettlauf mit dem Bezugsberechtigten.[11] Dies gilt beim widerruflichen und unwiderruflichen Bezugsrecht gleichermaßen.

[5] Bisher § 166 VVG aF, nunmehr § 159 Abs. 2, 3 VVG.
[6] Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, § 159 Rn 2.
[7] Bredemeyer, ZEV 2010, 288.
[9] So zutreffend Bredemeyer, ZEV 2010, 288, 291.
[10] Die bloße Aufforderung des Versicherers zur Übermittlung von Unterlagen reicht dafür noch nicht aus, BGH, ZErb 2008, 355.
[11] Bredemeyer, ZEV 2010, 288, 292.

2. Auszahlung an den Inhaber des Versicherungsscheins

Je nach Sachverhalt – insbesondere bei möglichen Abtretungen von Ansprüchen aus der Lebensversicherung – kann es sein, dass nicht nur zwei Personen um die Wette laufen, sondern sogar drei: der Erbe, der Anspruchsinhaber sowie der Inhaber des Versicherungsscheins.

2.1 Häufig liegen dem Lebensversicherungsvertrag allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) zugrunde, aufgrund derer der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins als verfügungs- und empfangsberechtigt ansehen kann. In Übereinstimmung mit § 4 Abs. 1 VVG wird der Versicherungsschein zum qualifizierten Legitimationspapier im Sinne von § 808 Abs. 1 BGB erhoben.[12] Somit ist der Inhaber des Versicherungsscheins zwar nicht b...

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