Die Frage, ob dem Verteidiger für seine Tätigkeit in der Berufungsinstanz eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 4124 VV RVG zusteht, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor deren Begründung zurücknimmt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. In der Literatur wird einhellig die Meinung vertreten, auch im Falle einer späteren Rücknahme der Berufung durch die Staatsanwaltschaft reiche für das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4124, 4125 VV RVG eine vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist entfaltete Tätigkeit des Verteidigers (vgl. Burhoff in: Burhoff [Hrsg.], RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014, Nr. 4124 VV Rn 30 ff.; Burhoff in: Gerold/Schmitt, RVG, 22. Aufl. 2016, Einleitung zu Nr. 4124, 4125 VV Rn 7 und Nr. 4124, 4125 VV Rn 6; Uher in: Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Matthias/Uher, RVG, 4. Aufl., Nr. 4128–4135 VV Rn 93; AnwKomm-RVG/N. Schneider, 7. Aufl. 2014, VV 4124–4125 Rn 7; Hartung in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 2. Aufl. 2013, Nr. 4124–4129 VV Rn 11; Hartmann, Kostengesetze, 43. Aufl., Nr. 4124–4129 VV Rn 7; Meyer-Goßner/Schmitt, § 464a Rn 10 für den Regelfall; KK/Gieg, § 464a Rn 10). Die Rechtsprechung (der Obergerichte) geht demgegenüber – sowohl für die Berufung, als auch für die Revision – fast ebenso einhellig davon aus, dass die Verfahrensgebühr des jeweiligen Rechtsmittelzuges nicht anfällt (aus neuerer Zeit KG RVGreport 2012, 187 = VRR 2011, 397 = StRR 2011, 387 [Berufung]; KG RVGreport 2010, 351 = VRR 2010, 479 = JurBüro 2010, 599 [Revision]; OLG Bremen NStZ-RR 2011, 391 = StRR 2011, 406 [Revision]; s.a. noch OLG Bamberg JurBüro 1988, 64; OLG Düsseldorf MDR 1993, 582 [Revision]; JurBüro 1981, 229 [Revision]; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 351 [Revision]; OLG Karlsruhe JurBüro 1996, 31 [Revision]; OLG Koblenz Rpfleger 2006, 670 [Revision]; OLG Rostock JurBüro 2009, 541 [Revision]; OLG Oldenburg JurBüro 2002, 531 [Revision]; LG Bochum JurBüro 2007, 38 [Berufung]; LG Koblenz JurBüro 2009, 198 [Berufung], LG Köln StraFo 2007, 305; RVGreport 2014, 360 = Rpfleger 2014, 624 = StRR 2014, 356).

Diese Ansicht der Obergerichte ist eine der "heiligen Kühe" der Obergerichte, die sie immer wieder – und immer wieder mit denselben Argumenten – verteidigt. Dieser h.M. ist nicht beizukommen, auch nicht von dem geballten Auftritt und Angriff der Literaturmeinungen, unter denen sich immerhin so gewichtige Stimmen wie Meyer-Goßner/Schmitt und der Karlsruher Kommentar zur StPO befinden. Das beweist mal wieder ein Beschluss des OLG Köln (v. 3.7.2015 – 2 Ws 400/15, RVGreport 2015, 383 = AGS 2015, 511). Das OLG Köln hat sich der h.M. in der Rechtsprechung angeschlossen und begründet das u.a. wie folgt: Der Angeklagte möge ein Interesse daran haben, allgemeine Informationen über den Fortgang des Verfahrens zu erhalten. Gebe der Verteidiger einen kurzen Hinweis auf die Rechtslage und den weiteren Verfahrensgang, sei dies aber bereits mit den Gebühren für die Vorinstanz abgegolten. Das sei deswegen gerechtfertigt, weil der Verteidiger, der, wenn er schon in der Vorinstanz tätig gewesen sei, sich die notwendigen Kenntnisse bereits in diesem Rechtszug verschafft habe und sonst keinerlei Tätigkeit mehr für diesen Hinweis entfalten müsse. Zudem gehöre bei ihm gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG sogar die Einlegung der Berufung einschließlich der diesbezüglichen Beratung zum Rechtszug erster Instanz. Daraus sei zu schließen, dass bei einer Berufung der Staatsanwaltschaft die bloß informelle Beratung über den weiteren Verfahrensgang erst recht noch von der erstinstanzlichen Gebühr abgedeckt werde. Eine über allgemein gehaltene Informationen hinausgehende Beratung sei vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist nicht notwendig, denn i.d.R. mache erst die Begründung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft dessen Umfang und Zielrichtung erkennbar und versetze den Verteidiger in die Lage, den Mandanten sachgerecht zu beraten und die weitere Verteidigungsstrategie mit ihm zu besprechen. Zudem müsse damit gerechnet werden, dass die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel nach Kenntnisnahme von den schriftlichen Urteilsgründen zurücknehme. Eine voreilige Beratung über die Aussichten der Berufung und die Beiziehung weiterer Beweismittel sei für die Verteidigung des Angeklagten daher weder notwendig noch irgendwie förderlich. Der Einwand, der Angeklagte dürfe im Hinblick auf Nr. 146–148 RiStBV darauf vertrauen, dass ein von der Staatsanwaltschaft eingelegtes Rechtsmittel auch durchgeführt werde, verfange schon deshalb nicht, weil in der Praxis Berufungen und Revisionen der Staatsanwaltschaft häufig nach Überprüfung der schriftlichen Urteilsgründe zurückgenommen würden. Es gebe daher keinen Erfahrungssatz, dass ein von der Staatsanwaltschaft eingelegtes Rechtsmittel auch tatsächlich durchgeführt wird.

 

Hinweis:

Dass diese Auffassung der h.M. in der Rechtsprechung falsch ist, habe ich bereits an anderer Stelle eingehend dargelegt (vgl. Burhoff RVGreport 2014, 410; vgl. auch Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4124 VV Rn 30 ff.; s.a. die Anm. bei...

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