(OLG Schleswig, Beschl. v. 13.10.2022 – 7 U 160/22) • Ein Rechtsanwalt hat durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Seit dem 1.1.2022 müssen vorbereitende Schriftsätze gem. § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht werden. Gemäß § 130 Abs. 5 S. 2 ZPO wird dem Absender nach der Übermittlung eine „automatisierte Bestätigung” über den Zeitpunkt des Eingangs mitgeteilt. Eine wirksame Fristen- und Ausgangskontrolle darf nicht nur mit der bloßen Anwaltssoftware (hier „RA-Micro”) erfolgen, sondern erfordert auch einen Vergleich anhand des Fristenkalenders und der Handakte. Das Büropersonal ist bereits vor Anfertigung und Verarbeitung der Berufungsschrift anzuweisen, in der entsprechenden Anwaltssoftware (hier „RA-Micro”) das zuständige Berufungsgericht einzupflegen.

ZAP EN-Nr. 735/2022

Anmerkung: Das Schleswig-Holsteinische OLG hängt die Latte für Nutzer von Anwaltssoftware hoch: Es erwartet, dass in der Anwaltssoftware das zuständige Berufungsgericht eingepflegt wird.

Zum Sachverhalt: Der Kläger hatte gegen das Urteil des Landgerichts Kiel am Tag des Fristablaufs Berufung eingelegt. Dazu wurde jedoch aufgrund eines „Anklick-Fehlers” anstelle des für die Berufung zuständigen OLG Schleswig das erstinstanzliche LG Kiel adressiert.

Es lägen keine Tatsachen vor, wonach der Kläger ohne Verschulden an der Wahrung der Frist gehindert war. Das Gericht weist darauf hin:

Zitat

„Hinsichtlich des zuzurechnenden anwaltlichen Verschuldens gilt der übliche, also berufsbedingt strenge Sorgfaltsmaßstab, sodass insoweit regelmäßig eine Fristversäumnis verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre. (...) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH hat ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Einhaltung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. (...) Schließlich gehört zu einer wirksamen Fristenkontrolle auch eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft nochmals und abschließend selbstständig überprüft wird”.

Eine wirksame Fristen- und Ausgangskontrolle dürfe nicht nur mit der bloßen Anwaltssoftware erfolgen, sondern erfordere auch einen Vergleich anhand des Fristenkalenders und der Handakte. Die allabendliche Fristenkontrolle habe gerade den Sinn, durch eine doppelte Prüfung möglichst alle Fehlerquellen bei der Einhaltung von Fristen auszuschließen. Der Fehler wäre nach Auffassung des Gerichts vermieden worden, wenn bereits vor Anfertigung und Verarbeitung der Berufungsschrift in der entsprechenden Anwaltssoftware das zuständige OLG Schleswig als mögliches Berufungsgericht eingepflegt gewesen wäre. Eine entsprechende Anweisung gegenüber dem Büropersonal wäre erforderlich gewesen.

Und eine weitere Beanstandung bezieht sich auf die beA-Mitarbeiterkarte:

Zitat

„Schließlich dürfte es auch fehlerhaft gewesen sein, dass die in Vollzeit tätige Fachangestellte D1 unstreitig nicht über eine eigene beA-Mitarbeiterkarte verfügte und deshalb unter dem Namen ihrer Kollegin (W1) die elektronische Versendung der Berufungsschrift veranlasst hat”.

 

Praxistipp:

Legen Sie Regeln für die Bearbeitung von Akten in der I. Instanz und in der Berufungsinstanz fest. Verwenden Sie Checklisten für die Überprüfung von Absender, Empfänger, Aktenzeichen etc. Jede Flugzeugcrew arbeitet mit Checklisten, auch wenn alle Handgriffe schon tausende Male erfolgt sind. Dies beugt Routine und Fehlern vor. Bei Anlage von separaten Akten für die I. und die II. Instanz wäre der Fehler womöglich eher aufgefallen, auch anhand des einzutragenden Aktenzeichens des Gerichts, bei dem ein geschulter Mitarbeitender erkennen müsste, welches das zuständige Berufungsgericht ist. Nutzen Sie für jeden Mitarbeitenden eine eigene beA-Mitarbeiterkarte, damit erkennbar ist, welcher Mitarbeitende zu welchem Zeitpunkt mit welcher Akte gearbeitet hat.

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