Das Wichtigste in Kürze:

1. Gem. § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist die Verfassungsbeschwerde nur und erst zulässig, wenn zuvor der Rechtsweg erschöpft ist.
2. Die Anhörungsrüge (§ 356a) gehört in jedem Fall zum Rechtsweg, sofern eine eigenständige Verletzung rechtlichen Gehörs durch die letzte Instanz in Betracht kommt.
3. Das Gebot der Rechtswegerschöpfung kann durch die Monatsfrist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde zur sog. Neunzigzwei- Dreiundneunzigeins-Falle werden.
4. Der Rechtsweg muss in der gehörigen Form ausgeschöpft werden; Fehler in der Rechtswegerschöpfung versperren den Weg zum BVerfG.
5. Vor Erledigung des Rechtswegs ist eine Verfassungsbeschwerde nur ausnahmsweise zulässig.
 

Rdn 1183

 

Literaturhinweise:

Buermeyer, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde in Strafsachen, in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 35

Eschelbach/Geipel/Weiler, Anhörungsrügen, StV 2010, 325

Lübbe-Wolff, Substantiierung und Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, EuGRZ 2004, 669

s.a. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730.

 

Rdn 1184

1. Gem. § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist die Verfassungsbeschwerde nur und erst zulässig, wenn zuvor der Rechtsweg erschöpft ist (Ausnahme: § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG oder Unzumutbarkeit). Das BVerfG hat von diesem Zulässigkeitskriterium in der Vergangenheit extensiv Gebrauch gemacht und sogar die Einleitung gesetzlich nicht geregelter und/oder paralegaler Rechtsbehelfe für erforderlich gehalten (vgl. MAH-Eschelbach, § 30 Rn 57 "extensive oder analoge Anwendung von Vorschriften über Rechtsmittel").

 

Rdn 1185

Diese verfassungsgerichtliche Praxis hat das BVerfG in seiner Plenumsentscheidung vom 30.4.2003 jedoch für verfassungswidrig gehalten (BVerfGE 107, 395). Nunmehr gilt der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit. Das BVerfG weist darauf hin, dass wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips der Grundsatz der Rechtssicherheit ist. Er wirkt sich im Bereich des Verfahrensrechts unter anderem in dem Postulat der Rechtsmittelklarheit aus. Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns führt zu dem Gebot, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen (BVerfGE 107, 395, 416; vgl. a. BVerfGE 122, 190, 200).

 

Rdn 1186

2. Ob und in welcher Form das Gebot der Rechtsmittelklarheit eingehalten wird, ist nicht ganz klar.

 

☆ Der Beschwerdeführer sollte (und muss) jedenfalls Rechtsbehelfe, deren Zulässigkeit umstritten sind, einlegen (vgl. BVerfGE 27, 248, 250 f.; 68, 386, 379 ff.; 78, 155, 169; 91, 93, 106).Zulässigkeit umstritten sind, einlegen (vgl. BVerfGE 27, 248, 250 f.; 68, 386, 379 ff.; 78, 155, 169; 91, 93, 106).

 

Rdn 1187

Die Anhörungsrüge (§ 356a) gehört in jedem Fall zum Rechtsweg, sofern eine eigenständige Verletzung rechtlichen Gehörs durch die letzte Instanz in Betracht kommt (s. dazu a. → Verfassungsbeschwerde, Zulässigkeit, formelle Subsidiarität, Teil C Rdn 1175; → Anhörungsrüge, Begründetheit, Teil B Rdn 20).

 

☆ Nur wenn der Rechtsbehelf offensichtlich aussichtslos ist, insbesondere offensichtlich unzulässig, wird dessen Einlegung nicht erwartet (vgl . BVerfG NJW 2011, 2417 m.w.N.; Lübbe-Wolff EuGRZ 2004, 669, 772).offensichtlich aussichtslos ist, insbesondere offensichtlich unzulässig, wird dessen Einlegung nicht erwartet (vgl. BVerfG NJW 2011, 2417 m.w.N.; Lübbe-Wolff EuGRZ 2004, 669, 772).

 

Rdn 1188

3. Durch das Gebot der Rechtswegerschöpfung kann der Betroffene in die sog. Neunzigzwei- Dreiundneunzigeins-Falle geraten. Einerseits muss die Verfassungsbeschwerde binnen eines Monats (§ 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG) eingereicht werden (→ Verfassungsbeschwerde, Frist, Teil C Rdn 1127, m.w.N.). Andererseits müssen auch zweifelhafte Rechtsbehelfe ergriffen werden, um den Rechtsweg auszuschöpfen (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Wurde der Rechtsbehelf nicht ergriffen, wäre dieser aber nach Ansicht des BVerfG zur Rechtswegerschöpfung nötig gewesen, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Wurde der Rechtsbehelf ergriffen, war dieser aber nach Ansicht des BVerfG offensichtlich unzulässig, begann die Frist bereits mit der zuvor ergangenen Entscheidung, so dass i.d.R. die Monatsfrist nun endgültig versäumt ist. Das führt zur Frage, wann ein Rechtsbehelf zweifelhaft ist. Das dürfte er sein, wenn ein Gericht die Zulässigkeit bejaht hat oder wenn es beim Fehlen einer entsprechenden Gerichtsentscheidung entsprechende Stimmen im Schrifttum gibt (vgl. Lechner/Zuck, § 90 Rn 154). Der Beschwerdeführer muss damit auch einer Mindermeinung folgen, sofern diese nicht erkennbar im Gesetz keine Stütze findet (vgl. BVerfGE 128, 90, 99).

 

Rdn 1189

Das Problem kann nur durch Ergreifen des Rechtsbehelfs und paralleler Erhebung der Verfassungsbeschwerde, die im AR-Register "geparkt" werden muss, gelöstwerden. Soll die zuletzt ergangene Entscheidung zum Gegenstand des Verfahrens vor dem BVerfG gemacht werden, muss die bereits eingelegte Verfassungsbeschwerde binnen eines Mona...

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