Das Wichtigste in Kürze:

1. Bei dem Grundsatz der formellen Subsidiarität geht es um die Erschöpfung möglicher Rechtswege im weiteren Sinn.
2. Besondere Probleme bereitet hier die Anhörungsrüge, bei der fraglich ist, ob sie nur gegen eigenständige Gehörsverletzung der letzten Instanz zulässig ist, oder auch gegen (aufrechterhaltende) perpetuierende Gehörsverstöße. Mittlerweile dürfte geklärt sein, dass die Anhörungsrüge nur gegen eigenständige Gehörsverletzungen des letztinstanzlichen Gerichts möglich ist.
 

Rdn 1172

 

Literaturhinweise:

Buermeyer, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde in Strafsachen in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 35

Eschelbach/Geipel/Weiler, Anhörungsrügen, StV 2010, 325

s.a. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730.

 

Rdn 1173

1. Neben der Erschöpfung des Rechtsweges im formellen Sinn hat die Rspr. den Grundsatz der formellen Subsidiarität geschaffen. Es handelt sich hierbei um die Erschöpfung möglicher Rechtswege im weiteren Sinn (vgl. Benda/Klein, Rn 574; → Verfassungsbeschwerde, Zulässigkeit, Rechtswegerschöpfung, Teil C Rdn 1182). Konnte der fachgerichtliche Rechtsweg z.B. wegen eines Justizfehlers nicht ausgeschöpft werden, muss vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde z.B. ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2014 – 2 BvR 718/14; Beschl. v. 7.12.2015 – 2 BvR 767/15), oder im Falle der überlangen Dauer eines Verfahrens die entsprechenden (§§ 198, 201 GVG) fachgerichtlichen Rechtsbehelfe ergriffen werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2014 – 2 BvR 437/12). Auch die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung muss zuvor in der Revision gerügt worden sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.3.2009 – 2 BvR 229/09).

 

Rdn 1174

Wegen des Gebots der Rechtsmittelklarheit spielt dieses Zulässigkeitskriterium nicht mehr die entscheidende Rolle. Ungeschriebene Rechtsbehelfe gehören nicht mehr zum vorher zu ergreifenden Rechtsweg. Werden sie dennoch ergriffen (z.B. Gegenvorstellung) muss parallel eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden (vgl. Lenz/Hansel, BVerfGG, 2. Aufl. 2015, § 90 Rn 360 ff. m.w.N.). Gleichwohl ist die Rechtswegerschöpfung im weiten Sinn nicht zu vernachlässigen. Dieses Kriterium kann z.B. eine Rolle spielen, wenn ein Rechtsbehelf z.B. nicht mehr zum eigentlichen Rechtsweg gehört, wie z.B. das Hauptsacheverfahren gegenüber dem einstweiligen Rechtsschutz, aber durch das Hauptsacheverfahren dennoch die Grundrechtsverletzung beseitigt werden kann.

 

Rdn 1175

2.a) Besondere Probleme bereitet hier die Anhörungsrüge, bei der fraglich ist, ob sie nur gegen eigenständige Gehörsverletzung der letzten Instanz zulässig ist, oder auch gegen (aufrechterhaltende) perpetuierende Gehörsverstöße aus der Vorinstanz. Mittlerweile dürfte die sog. sekundäre (perpetuierende) Anhörungsrüge offensichtlich unzulässig sein (vgl. Lechner/Zuck, 7. Aufl. 2015, § 90 Rn 147d; Lenz/Hansel, BVerfGG, 2. Aufl. 2015, § 90 Rn 371 m.w.N.). Damit dürfte die Literatur/Rspr., die die Frage des primären oder sekundären Gehörsverstoßes als strittig bezeichnete (vgl. Jahn/ Krehl/Löffelmann/Güntge, Rn 199, 213, 215; Benda/Klein, Rn 578 m.w.N.; Eschelbach/Geipel/Weiler StV 2010, 325, 328, vgl. a. BVerfG NJW 2008, 2635; 2011, 1497 f. und andererseits – "jeder Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG" – in BVerfGK 5, 337, 338 f.) überholt sein (s. dazu auch → Anhörungsrügen Begründetheit, Teil B Rdn 20).

 

☆ Liegt ein Gehörsverstoß vor und ein weiterer Grundrechtsverstoß , so muss die Anhörungsrüge genutzt werden, obwohl die Anhörungsrüge unmittelbar nur den Gehörsverstoß beseitigen kann, aber durch die Fortführung des Verfahrens besteht die Möglichkeit der Heilung der anderen Grundrechtsverstöße (vgl. BVerfG NJW 2007, 3054 f.). Das gilt freilich nicht bei einer Falschbezeichnung des Art. 103 Abs. 1 GG, also wenn in der Verfassungsbeschwerde Art. 103 Abs. 1 GG expressis verbis genannt wird, tatsächlich aber bei verständiger Auslegung eine andere Grundrechtsverletzung gerügt wird (BVerfG NJW 2011, 2417).ein Gehörsverstoß vor und ein weiterer Grundrechtsverstoß, so muss die Anhörungsrüge genutzt werden, obwohl die Anhörungsrüge unmittelbar nur den Gehörsverstoß beseitigen kann, aber durch die Fortführung des Verfahrens besteht die Möglichkeit der Heilung der anderen Grundrechtsverstöße (vgl. BVerfG NJW 2007, 3054 f.). Das gilt freilich nicht bei einer Falschbezeichnung des Art. 103 Abs. 1 GG, also wenn in der Verfassungsbeschwerde Art. 103 Abs. 1 GG expressis verbis genannt wird, tatsächlich aber bei verständiger Auslegung eine andere Grundrechtsverletzung gerügt wird (BVerfG NJW 2011, 2417).

 

Rdn 1176

b) Ob der Mangel einer unterlassenen Anhörungsrüge dadurch geheilt werden kann, dass im Verfahren vor dem BVerfG kein Gehörsverstoß mehr gerügt wird bzw. eine entsprechende Rüge innerhalb der Monatsfrist (oder auch später) wieder zurückgenommen wird, war fraglich (vgl. Benda/Klein, Rn 577 m.w.N.; BVerfG NStZ-RR 2008,...

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