Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Anhörungsrüge ist begründet, wenn die angegriffene letztinstanzliche Entscheidung auf einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG beruht.
2. Nach einer in Rspr. und Lit. vertretenen und mittlerweile herrschenden Ansicht betrifft die Anhörungsrüge nur erstmalige Gehörsverstöße in der letzten fachgerichtlichen Instanz, nicht das Unterlassen einer Heilung vorinstanzlicher Gehörsverletzungen.
3. § 356a erfasst, ebenso wie § 33a, damit nicht jede Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, sondern nur sog. primäre Gehörsverletzungen.
4. Eine Gegenvorstellung wegen anderer verfassungsrechtlicher Beanstandungen bleibt möglich, ist aber nicht Zulässigkeitsvoraussetzung einer nachfolgenden Verfassungsbeschwerde. Die Verfassungsbeschwerde ist zwingend parallel einzulegen.
 

Rdn 17

 

Literaturhinweise:

s. die Hinw. bei → Anhörungsrüge, Allgemeines, Teil B Rdn 1.

 

Rdn 18

1. Die Anhörungsrüge ist begründet, wenn die angegriffene letztinstanzliche Entscheidung auf einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG beruht. Eine Gehörsverletzung durch das Revisionsgericht ist nach Ansicht der Rechtsprechung "kaum vorstellbar", wenn der Angeklagte oder Verteidiger vor dem Revisionsgericht anwesend sind (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 25.9.2012 – 1 StR 534/11).

 

☆ Ist ein Vortrag des Antragstellers durch eine fehlerhafte Prozesshandlung abgeschnitten und dadurch sein Anspruch auf Gehör vor Gericht verletzt worden, dann ist erforderlich, dass der Antragsteller das Versäumte, d.h. mitteilt, was er vorgetragen und zu welchem Ergebnis dies geführt hätte, nachholt, damit eine Beruhensprüfung stattfinden kann.Beruhensprüfung stattfinden kann.

 

Rdn 19

Für einen Erfolg der Anhörungsrüge genügt es nicht, dass die Verletzung einer Pflicht des Gerichts zur Information der Verfahrensbeteiligten, zur Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit oder zur Berücksichtigung des Vorbringens bei der Entscheidung dargelegt und festgestellt worden ist. Erforderlich ist auch die Feststellung des Beruhens der Entscheidung auf der Verletzung des Prozessgrundrechts (BVerfGE 28, 17, 19). Das erfordert eine Darlegung, warum der übergangene Vortrag erheblich ist, bzw. bei einem unterlassenen Hinweis, dass Erhebliches (was konkret) vorgetragen worden wäre (von Häfen/Kessen, S. 98).

 

Rdn 20

2.a) Nach mittlerweile h.M. betrifft die Anhörungsrüge nur eigenständige Gehörsverstöße in der letzten fachgerichtlichen Instanz, nicht das Unterlassen einer Heilung vorinstanzlicher Gehörsverletzungen (BVerfG NJW 2011, 1497 ff.; BGH NJW 2008, 923; BayVerfGH BayVBl. 2007, 757, 758; Papier DVBl. 2009, 473, 476). Die bloße Nichtheilung eines Gehörsverstoßes der Vorinstanz soll keine eigene Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG durch das letztinstanzliche Gericht sein, der die Anhörungsrüge rechtfertigt. Das wird damit begründet, dass andernfalls auch eine ablehnende Anhörungsrügenentscheidung wiederum eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG wäre, die eine erneute Anhörungsrüge gebieten müsste, so dass der Rechtsweg ad infinitum drohen würde (vgl. Jost, S. 59, 79). Die Gefahr vor einem Rechtsweg ad infinitum kann aber nie gänzlich gebannt werden (s. dazu auch: → Anhörungsrügen, Allgemeines, Teil B Rdn 1).

 

☆ Damit gibt es aber zwei Klassen von Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG, nämlich solche, die in einer Instanzentscheidung wirksam geworden und vom Rechtsmittelgericht nicht geheilt wurden, und solche, die das letztinstanzliche Rechtsmittelgericht selbst begeht. Für Erstere besteht die Rechtsmittelmöglichkeit, für Letztere die Anhörungsrügenmöglichkeit.zwei Klassen von Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG, nämlich solche, die in einer Instanzentscheidung wirksam geworden und vom Rechtsmittelgericht nicht geheilt wurden, und solche, die das letztinstanzliche Rechtsmittelgericht selbst begeht. Für Erstere besteht die Rechtsmittelmöglichkeit, für Letztere die Anhörungsrügenmöglichkeit.

 

Rdn 21

b) Die Frage, ob z.B. eine fehlerhaft begründete Rechtsmittelentscheidung über eine schon im Rechtsmittelverfahren geltend gemachte Gehörsrüge zur ersteren oder zur letzteren Kategorie gehören soll, dürfte durch die Entscheidung vom 8.12.2010 (BVerfG, NJW 2011, 1497 ff.) überholt sein, da die sekundäre Gehörsrüge unzulässig ist (Lenz/Hansel, BVerfGG, § 90 Rn 371; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn 147d). Nach dem Ansatz der Plenarentscheidung des BVerfG sollte die Anhörungsrüge zwar alle Arten von Verletzungen des Anspruchs auf Gehör vor Gericht erfassen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1924), weshalb in Fortführung dieser Ansicht eine Differenzierung zwischen perpetuierenden oder erstmaligen Gehörsverletzungen nicht gerechtfertigt ist. Die ältere Kammerrechtsprechung sah dies teils ebenso (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.6.2005 – 2 BvR 658/05), teils anders (vgl. BVerfG NJW 2008, 2635). Gleichwohl soll mittlerweile in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und Lehre Einigkeit darüber bestehen, dass eine solche Rüge unzulässig ist und nicht einmal mehr die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde wahrt (vgl. BVerfG, Besc...

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