Das Wichtigste in Kürze:

1. Nach der Mandatsübernahme beginnt für den Verteidiger neben der (soweit erforderlich) Aneignung der rechtlichen Besonderheiten des Wiederaufnahmeverfahrens die facettenreiche Auseinandersetzung mit dem Ursprungsverfahren. Insoweit muss sich die Herangehensweise jeweils am Einzelfall orientieren.
2. Problematisch ist häufig die Finanzierung, da Wiederaufnahmeverfahren zeit- und arbeitsintensiv sind, die Verurteilten aber häufig keine Mittel mehr zur Verfügung haben. Der Verteidiger muss sich also genau überlegen, ob er willens und in der Lage ist, gegebenenfalls pro bono zu arbeiten.
3. Es ist Aufgabe des Verteidigers, dem Mandanten das komplexe Verfahren zu erklären.
4. Ausgangspunkt jeder Wiederaufnahme sind die schriftlichen Urteilsgründe und sämtliche Akten, die mit dem Fall zusammenhängen.
5. Die Verteidigung im Wiederaufnahmeverfahren erfordert einen erheblichen Zeitaufwand. Der Verteidiger ist ggf. auf die Mitarbeit von Hilfskräften angewiesen.
6. Der Wiederaufnahmeantrag muss schließlich sorgfältig formuliert werden und ein einheitliches Bild abgeben.
 

Rdn 1395

 

Literaturhinweise:

Amelung, Martin, Ein gelöstes Problem schafft viele neue, Anmerkung zu BVerfGE 63, 45, StV 1983, 181

Gorka, Vorbereitung der Wiederaufnahme, in: Miebach/Hohmann, Wiederaufnahme in Strafsachen, 2016, Kap. D

Meyer-Goßner, Die Behandlung kriminalpolizeilicher Spurenakten im Strafverfahren, NStZ 1982, 353

Stern, Zur Verteidigung des Verurteilten in der Wiederaufnahme, NStZ 1993, 409

Strate, Der Schlaf der Gerechten – zum Umgang der Strafverteidiger mit der Wiederaufnahme, StraFo 2007, 47

ders., Der Verteidiger in der Wiederaufnahme, StV 1999, 228

Wasserburg, Das Einsichtsrecht des Anwalts in die kriminalpolizeilichen Spurenakten, NJW 1980, 2440

ders., Einsichtsrecht des Verteidigers in kriminalpolizeiliche Spurenakten, NStZ 1981, 211

s.a. die Hinw. bei → Wiederaufnahme, Allgemeines, Teil B Rdn 1054.

 

Rdn 1396

1. Hat sich der Verteidiger dazu entschlossen, das Mandat anzunehmen und dem Mandanten, der seine letzte Hoffnung in ihn setzt (vgl. anschaulich: Stern, NStZ 1993, 409 und MAH-Strate, § 27 Rn 9 ff.), zu helfen (zu den Vorüberlegungen → Wiederaufnahme, Allgemeines, Teil B Rdn 1053 ff.), beginnt neben der (soweit erforderlich) selbstverständlichen Aneignung der rechtlichen Besonderheiten des Wiederaufnahmeverfahrens eine facettenreiche Auseinandersetzung mit dem Ursprungsverfahren. Hierfür lässt sich indes keine auf alle Fälle gleichermaßen anwendbare Vorgehensweise präsentieren – vielmehr muss sich die Herangehensweise jeweils am Einzelfall orientieren (Strate StV 1999, 228 ff.). Auch die nachfolgenden Ausführungen können lediglich eine Handreichung sein und sollen zumindest die wichtigsten Überlegungen und Handlungsempfehlungen erörtern.

 

Rdn 1397

2.a) Finanzielle Erwägungen sollten nicht im Vordergrund stehen, wenn der Verteidiger sich entscheiden muss, ob er ein ihm angetragenes Mandat einer Wiederaufnahme annehmen oder ablehnen will, zumal häufig der hilfesuchende Mandant seine Ersparnisse bereits bei den Kollegen gelassen hat, die eine rechtskräftige Verurteilung nicht abwenden konnten. Strate (FA Strafrecht-Strate, Teil 4 Rn 2) stellt daher in Aussicht, dass es sich überwiegend um pro-bono-Mandate handeln wird und wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob auch deshalb die Wiederaufnahme nur ein Schattendasein in der anwaltlichen Berufspraxis führt. Zwar besteht gem. § 364b die Möglichkeit der Beiordnung eines Verteidigers schon zur Vorbereitung (→ Wiederaufnahme, Verteidigerbestellung, Teil B Rdn 1363 ff.). Gleichwohl liegt es auf der Hand, dass mit den nach Nrn. 4136 ff. VV RVG vorgesehenen Gebühren für die gesonderte Verteidigertätigkeit (→ Wiederaufnahmeverfahren, Abrechnung, Allgemeines, Teil D Rdn 590) der Arbeitsaufwand nicht annähernd angemessen abgegolten wird. Dies gilt, obwohl sogar dann eine Gebühr entsteht, wenn letztlich dem Mandanten abgeraten wird, einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen (sog. Abrategebühr; → Vergütungsfragen, Wiederaufnahmeverfahren, Strafverfahren, Gebühren, Teil D Rdn 611 ff.).

 

Rdn 1398

b) Motivation muss deshalb primär der Wille zur Erreichung eines materiell gerechten Urteils sein, wobei das BVerfG hier den Verteidigern mit zwei bedeutsamen Entscheidungen den Rücken gestärkt hat. So darf die Zulässigkeitsprüfung eines Wiederaufnahmeantrags durch das Gericht nicht dazu führen, dass das Wiederaufnahmeverfahren seiner Zweckbestimmung als Rechtsbehelf (→ Wiederaufnahme, Allgemeines, Teil B Rdn 1363 ff.) beraubt wird und das Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verloren geht. Die Anforderungen an die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags dürfen daher insgesamt nicht überspannt werden (BVerfG NStZ 1995, 43 f.). Insbesondere darf das Wiederaufnahmegericht die Anforderungen an die Beweislage nicht zu hoch ansetzen: Von der StPO wird nicht verlangt, dass der Antragsteller für die im Antrag aufgestellten Behauptungen den vollen Beweis erbringt; vielmehr...

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