Rdn 983

 

Literaturhinweise:

s. die Hinw. bei → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil B Rdn 806, bei → Menschenrechtsbeschwerde, Teil C Rdn 1, und bei → Verfassungsbeschwerde, Individualbeschwerde, Teil C Rdn 729.

 

Rdn 984

1.a) Als außerordentlicher Rechtsbehelf ist gegen Haftentscheidungen auch die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde gegeben.

 

☆ Nicht zuletzt wegen der besonderen Bedeutung des Freiheitsgrundrechts erscheint die Erfolgsquote von Verfassungsbeschwerden in Haftsachen im Verhältnis zum allgemeinen Durchschnitt deutlich erhöht .Erfolgsquote von Verfassungsbeschwerden in Haftsachen im Verhältnis zum allgemeinen Durchschnitt deutlich erhöht.

 

Rdn 985

Die Verfassungsbeschwerde muss aber qualifiziert begründet werden (instruktiv für die Verteidigung: BVerfG StRR 2007, 203 [Ls.]; VerfGH Berlin, Beschl. v. 25.4.2008, 164/07, zit. nach Paeffgen NStZ 2010, 200, 201, der diese "Beweislast" aber auch die dortigen Überlegungen zum Grundsatz der Beschleunigung im Hinblick auf u.a. den Grundsatz des "nemo tenetur" und auch § 136a sehr kritisch würdigt; vgl. auch → Verfassungsbeschwerde, Begründung, U-Haft, Teil C Rdn 1057; Radtke/Hohmann/Tsambikakis, § 117 Rn 17, dort insbes. auch Fn 25).

 

Rdn 986

b) Das BVerfG kann nur eingreifen, wenn die Untergerichte Verfassungsrecht verletzt haben. Dies ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die angegriffene Entscheidung objektiv fehlerhaft ist. Der Fehler muss vielmehr in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen. Das kann in der Regel erst angenommen werden, wenn eine grds. unrichtige Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts oder eine fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist (BVerfG NJW 1997, 929 mit Anm. Ambos StV 1997, 39 u. Anm. Strack JZ 1997, 142; s. auch Herrmann, Rn 1181 ff.; MAH-Eschelbach, § 28 Rn 2 [dort insbes. Fn 1]; → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 729, m.w.N.).

 

Rdn 987

c) Vorab ist der ordentliche Rechtsweg auszuschöpfen. Dies gilt selbst dann, wenn die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels in Rspr. und Lit. strittig ist (wegen der Einzelh. → Verfassungsbeschwerde, Zulässigkeit, Rechtswegerschöpfung, Teil C Rdn 1182).

 

☆ Nach Ansicht des BVerfG bedarf es selbst dann der Einlegung einer weiteren Beschwerde gegen einen aufgehobenen Haftbefehl , wenn dieser durch einen neuen Haftbefehl prozessual überholt ist (BVerfG NStZ 2007, 147).Beschwerde gegen einen aufgehobenen Haftbefehl, wenn dieser durch einen neuen Haftbefehl prozessual überholt ist (BVerfG NStZ 2007, 147).

 

Rdn 988

2. Konventionsverstöße gegen die EMRK können mittels Individualrechtsbeschwerde verfolgt werden (eingehend dazu → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 1, m.w.N.).

 

Rdn 989

a) Auch wenn die unmittelbare Wirkung der Rechtsprechung des EGMR als gering angesehen wird (MAH-Eschelbach, § 29 Rn 7), dürfen dennoch die Orientierungswirkung sowie die normative Leitfunktion entsprechender Judikate bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts nicht verkannt werden (Esser StV 2005, 348, 352; Vogel/Matt StV 2007, 206; MAH-Eschelbach, a.a.O.).

 

Rdn 990

b) Die im Zusammenhang mit dem Recht auf Akteneinsicht gem. § 147 Abs. 2 S. 2 StPO (s. hierzu → Rechtsbehelf, Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil B Rdn 822 ff.) ergangenen Entscheidungen des EGMR sind wegweisend für die Entwicklung der nationalen Rspr. und haben die Gesetzgebung im Rahmen der Reform des Rechts der U-Haft zum 1.1.2010 wesentlich beeinflusst (vgl. nur EGMR Nr. 11364/03, Urteil der 5. Kammer v. 13.12.2007 [Mooren v. Deutschland I] StV 2008, 475 mit Anm. Hagmann und Pauly u. mit Anm. J. Herrmann/D. Herrmann StRR 2008, 98; s. auch EGMR Nr. 11364/03, Urt. der Großen Kammer v. 9.7.2009 [Mooren v. Deutschland II] StV 2010, 490 ff. mit Anm. Pauly u. mit Anm. D. Herrmann StRR 2009, 473; s. auch EGMR StV 1993, 283; 2001, 201, 203, 205 m. zust. Anm. Kempf StV 2001, 207; NJW 2002, 2013 [Lietzow]; NJW 2002, 2015 [Schöps]; EGMR NJW 2002, 2018 [Garcia Alva]; zum Ganzen a. Burhoff, EV, Rn 218 ff.; Deckers StraFo 2009, 444; Herrmann, Rn 360 ff.; Kempf, S. 217 ff.; Meyer-Goßner, § 147 Rn 25a; Michalke NJW 2010, 18; Park StV 2009, 276; Püschel StraFo 2009, 134, 135; Schlothauer StV 2001, 193; Weider StV 2010, 102).

 

Rdn 991

c) Auch die Urteile des EGMR zu Fragen der Beschleunigung in Haftsachen gem. Art. 5 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 EMRK und Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK bestätigen deren Bedeutung für das nationale Recht. Der verhaftete Beschuldigte hat Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessen Frist oder auf Haftentlassung (vgl. EGMR StV 2005, 136; s. auch Kühne StV 2002, 383).

 

Rdn 992

d) Schließlich sind europarechtlich für Fälle der rechtswidrigen Festnahme oder Freiheitsentziehung Entschädigungsansprüche nach Art. 5 Abs. 5 EMRK denkbar, der einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch gegen den Staat ermöglicht (s. EGMR Nr. 11364/03, Urt. der 5. Kammer v. 13.12.2007 [Mooren v. Deutschland I] StV 2008, 475 mit Anm. Hagmann und Pauly u. mit Anm...

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