Literaturhinweise:

Böttcher/Mayer, Änderungen des Strafverfahrensrechts durch das Entlastungsgesetz, NStZ 1993, 153

Brackert/Staechlin, Die Reichweite der im Strafbefehlsverfahren erfolgten Pflichtverteidigerbestellung, StV 1995, 547

Burhoff, Persönlicher Geltungsbereich des Teils 4 VV RVG – eine Bestandsaufnahme der Rechtsprechung, RVGreport 2011, 85

Hohendorf, Probleme bei Pflichtverteidigerbestellung nach § 408b StPO, MDR 1993, 597

Kreutz, Pflichtverteidigerbestellung nach § 408b StPO, Verfassungsrechtliche und prozessökonomische Bewegungen, AnwBl 2002, 212

Lutz, Wie weit reicht die Verteidigerbestellung gem. § 408b StPO?, NStZ 1998, 395

Schellenberg, Zur Verhängung von Freiheitsstrafen im Strafbefehlsweg, NStZ 1994, 570

Siegismund/Wickern, Das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege – ein Überblick über die Änderungen der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, des Jugendgerichtsgesetzes und des Strafgesetzbuches, wistra 1993, 81

s. auch die Hinw. bei → Strafbefehl, Allgemeines, Teil B Rdn 700.

 

Rdn 803

1. Dem Angeklagten ist im Strafbefehlsverfahren nach § 408 ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Gericht "erwägt", den auf die Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe lautenden Strafbefehlsabtrag zu erlassen. Das Verfahren über die Bestellung richtet sich nach §§ 141 ff. (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 3016 ff.)

 

Rdn 804

2. Einzig umstr. ist (vorwiegend in Zusammenhang mit der Vergütung des Pflichtverteidigers; → Einspruch, Strafbefehlsverfahren, Teil D Rdn 169 ff.; s. auch Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Strafbefehlsverfahren, Abrechnung, Rn 1842 ff.) die Reichweite der Bestellung, also die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Bestellungswirkung endet. Während das AG Höxter (NJW 1994, 2842) den Bestellungsumfang bis zur Entscheidung über den Erlass des Strafbefehls beschränkt, halten/hielten andere Stimmen – weiter gehend – auch noch die Einlegung des Einspruchs von der Bestellungswirkung umfasst (OLG Düsseldorf NStZ 2002, 390 m.w.N.; KMR-Metzger, Rn 10; Meyer-Goßner/Schmitt, § 408b Rn 6; Pfeiffer, § 408b Rn 4). Die weitaus h.M. in der Lit. (AnwKomm-StPO/Böttger, § 408b Rn 9; HK-Kurth, § 408n Rn 6; KK-Maur, § 408b Rn 8; LR-Gössel, § 408b Rn 12; Radtke/Hohmann/Alexander, § 408b Rn 7;) vermag eine Beschränkung weder aus Wortlaut oder Telos noch aus der Gesetzessystematik herzuleiten. Dieser Auffassung haben sich mittlerweile auch das OLG Celle (StV 2011, 661), das OLG Düsseldorf (StraFo 2008, 441), das OLG Köln (StV 2010, 68) angeschlossen (vgl. auch noch AG Oberhausen JurBüro 2012, 423; offen gelassen OLG Oldenburg StraFo 2010, 420; unzutreffend a.A. OLG Saarbrücken RVGreport 2015, 358; LG Aurich StRR 2010, 116).

 

Rdn 805

Zu dieser Problematik folgende Argumentationshilfe für den Verteidiger:

§ 408b selbst enthält keine zeitliche Begrenzung der Reichweite der Beiordnung (anders: §§ 118a Abs. 2 S. 3, § 350 Abs. 3 S. 1). Dies gilt auch, soweit § 408b S. 2 auf § 141 Abs. 3 Bezug nimmt, zumal die Verweisung auf diese Vorschrift (Bestellung eines Verteidigers vor Zustellung der Anklageschrift) eher die Bestellungswirkung für das gesamte Verfahren nahe legt.
Der Zweck des § 408b besteht darin, Verfahrensnachteile des Angeklagten auszugleichen (Kompensationsfunktion; s. BT-Drucks 12/3832 S. 42 [besondere prozessuale Situation des Angeklagten]). Solche Nachteile liegen vor Erlass des Strafbefehls darin, dass ihm überhaupt kein rechtliches Gehör gewährt werden muss (Meyer-Goßner/Schmitt, § 407 Rn 24), aber auch, dass er – anders als bei Zustellung der Anklageschrift nach § 201 – weder Erklärungen abgeben noch Beweisanträge stellen kann. Die Nachteile setzen sich nach Erlass des Strafbefehls schon dadurch fort, dass dem Angeklagten – im Unterschied zum Regelstrafverfahren – nunmehr eine Reaktion abverlangt wird, will er die gerichtliche Entscheidung nicht hinnehmen. Er kann mit seinem Verteidigungsvorbringen die nach Anklageerhebung obligatorische HV dazu nicht einfach abwarten, sondern muss eine solche erst durch Einlegung des Einspruchs herbeiführen, was ihm aber die zusätzliche Durchführung eines frist- und formgebundenen Verfahrens abfordert (→ Strafbefehl, Einspruch, Teil B Rdn 743 ff.).

Die verfahrensimmanenten Nachteile machen aber auch nicht vor der HV Halt; denn es gelten nach Einspruch gegen den Strafbefehl im Unterschied zum Regelstrafverfahren die die Verfahrensdurchführung für das Gericht erleichternden Beweisvorschriften des § 420, welche die Rechte des Angeklagten ebenfalls einschränken (§§ 411 Abs. 2 S. 2, 420 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4), beispielsweise in Hinblick auf

die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2)
das Beweisantragsrecht (§§ 244 Abs. 3 – 5, 420 Abs. 4; bis hin zu einer Beweisantizipation [Meyer-Goßner/Schmitt, § 420 Rn 10]) oder
den Unmittelbarkeitsgrundsatz der §§ 250 f. (§ 420 Abs. 1, Abs. 3).
 

☆ Ausgeglichen werden können diese Nachteile dabei nicht allein dadurch, dass die Anwendung des vereinfachten Beweisrechts u.a. auch von der Zustimmung des Angeklag...

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