Rz. 67

Umstritten war zur BRAGO, ob die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auch die Tätigkeit des Anwalts im Adhäsionsverfahren umfasst. Nach Auffassung des OLG Schleswig[35] bedurfte es einer zusätzlichen Beiordnung für das Adhäsionsverfahren nicht; der Pflichtverteidiger, der auch im Adhäsionsverfahren tätig wurde, erhielt danach stets die Gebühren nach § 89 BRAGO i.V.m. § 123. Begründet wurde diese Ansicht damit, dass die Gebührenvorschrift des § 89 BRAGO in § 97 Abs. 1 S. 4 BRAGO ausdrücklich aufgeführt war. Die noch auf einer früheren Gesetzesfassung beruhende Entscheidung des LG Koblenz[36] sei daher nicht mehr haltbar. Der BGH[37] hatte in einem ausführlich begründeten Beschluss entschieden, dass eine zusätzliche Bestellung erforderlich sei, um einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse auszulösen.

 

Rz. 68

Seit Inkrafttreten des RVG und der VV 4143, 4144 ist die Frage dagegen wieder umstritten. Zu einer einheitlichen Rechtsprechung wird es wohl auch kaum kommen, da in diesen Verfahren ein Rechtsmittel zum BGH nicht gegeben ist. Bis dahin wird die Anwaltschaft mit einer Partikularrechtsprechung leben müssen.

Für eine Erstreckung auf das Adhäsionsverfahren haben sich neben dem OLG Schleswig ausgesprochen: OLG Dresden,[38] OLG Rostock[39] sowie einige Untergerichte.[40]
Gegen eine Erstreckung auf das Adhäsionsverfahren haben sich ausgesprochen: OLG Bamberg,[41] OLG Brandenburg,[42] OLG Celle,[43] OLG Düsseldorf,[44] KG,[45] OLG Koblenz,[46] OLG Jena,[47] OLG Hamburg,[48] OLG Hamm,[49] OLG Karlsruhe,[50] OLG Köln,[51] OLG München,[52] OLG Oldenburg,[53] OLG Stuttgart,[54] OLG Zweibrücken[55] sowie einige Untergerichte.[56] Auch eine nachträgliche Beiordnung des Rechtsanwalts für das Adhäsionsverfahren soll nach rechtskräftig abgeschlossenem Verfahren unzulässig sein.[57]
 

Rz. 69

Wird die Pflichtverteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren erstreckt, dann ist allerdings die Festsetzung gem. § 55 unabhängig davon bindend, ob die Voraussetzungen einer Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe gem. § 404 Abs. 5 S. 1 StPO, §§ 114 ff. ZPO tatsächlich vorlagen. Dem Urkundsbeamten steht insoweit keine Kompetenz zu, dies im Rahmen der Vergütungsfestsetzung zu überprüfen.[58]

[35] OLG Schleswig AGS 1998, 6 m. abl. Anm. Madert = JurBüro 1998, 22.
[36] LG Koblenz AnwBl 1980, 213.
[39] OLG Rostock AGS 2011, 540 = RVGreport 2011, 423 = StraFo 2011, 378.
[40] AG Schwelm AGS 2016, 171.
[41] OLG Bamberg NStZ-RR 2009, 114.
[42] OLG Brandenburg JMBl BB 2008, 173.
[43] OLG Celle AGS 2008, 229 = RVGreport 2008, 102 = NdsRpfl 2008, 112.
[45] KG RVGreport 2011, 142 = JurBüro 2011, 254.
[46] OLG Koblenz AGS 2014, 399 = JurBüro 2014, 356.
[47] OLG Jena RVGreport 2008, 395 = Rpfleger 2008, 529.
[48] OLG Hamburg 15.4.2013 – 1 Ws 6/13 unter Aufgabe der bisherigen Rspr.
[49] OLG Hamm 20.5.2019 – III-5 RVGs 8/19, RVGreport 2020, 137 = JurBüro 2019, 529; OLG Hamm AGS 2013, 13 = NJW 2013, 325.
[50] OLG Karlsruhe 23.8.2018 – 2 Ws 246/18, AGS 2018, 459 = NJW-Spezial 2018, 765; OLG Karlsruhe StraFo 2013, 84.
[51] OLG Köln AGS 2016, 65 (unter Aufgabe seiner bisherigen Rspr. AGS 2005, 436 = RVGreport 2005, 316 = StraFo 2005, 394).
[52] OLG München StV 2004, 38.
[53] OLG Oldenburg AGS 2010, 427 = StraFo 2010, 306.
[54] OLG Stuttgart AGS 2009, 387 = NStZ-RR 2009, 264.
[55] OLG Zweibrücken RVGreport 2006, 429 = JurBüro 2006, 643.
[56] LG Hannover NdsRpfl 2014, 335.
[57] LG Hannover NdsRpfl 2014, 335.
[58] OLG Düsseldorf 18.5.2017 – III-1 Ws 33–34/17, AGS 2017, 460 = RVGreport 2017, 375.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge