Gesetzestext

 

1Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. 2Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. 3Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

A. Zweck und Anwendungsbereich.

 

Rn 1

§ 615 trägt der Tatsache Rechnung, dass der Dienstverpflichtete zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes regelmäßig auf die Vergütung angewiesen ist, ausgefallene Zeiten nicht ohne weiteres nacharbeiten und seine Arbeitskraft idR nicht kurzfristig anderweitig verwerten kann. 3 gilt nur für Arbeitsverhältnisse, 1 und 2 auch für freie Dienstverhältnisse, zB nicht eingehaltene Behandlungstermine beim Arzt (LG Konstanz NJW 94, 3015; Muthorst ZGS 09, 409 mwN), Zahnarzt (AG Ludwigsburg NJW-RR 03, 1695) oder Krankengymnasten (AG Ludwigsburg NJW-RR 03, 1695) sowie für Beratungsverträge mit Rechtsanwälten (München NJW-RR 94, 507) und Ausbildungsverhältnisse (BAG NZA 06, 1406 [BAG 13.07.2006 - 8 AZR 382/05]).

 

Rn 2

§ 615 ist keine selbstständige Anspruchsgrundlage, sondern sichert den Vergütungsanspruch für die Zeit des Annahmeverzugs (BAG NZA 16, 108 [BAG 24.06.2015 - 5 AZR 462/14]). Vergütungshöhe, Zahlungsbedingungen, Fälligkeit (§ 614), Verfall- und Verjährungsfristen richten sich nach Dienst-/Arbeitsvertrag. § 254 gilt nicht (BGH NJW 67, 248 [BGH 14.11.1966 - VII ZR 112/64]). § 615 schließt gleichzeitigen Schuldnerverzug (§ 286) des Dienstberechtigten nicht aus, wenn dieser zur Annahme der Dienste verpflichtet ist. Für Schuldnerverzug gelten allg Regeln (BAG NZA 03, 48 [BAG 13.06.2002 - 2 AZR 391/01]). 1 und 2 sind abdingbar (BAG NZA 07, 384 [BAG 10.01.2007 - 5 AZR 84/06]; zu Formularverträgen § 611 Rn 59 ff), der ArbG darf jedoch sein Arbeitsentgeltrisiko nicht generell auf den ArbN verlagern (ErfK/Preis § 615 Rz 8). Abdingbarkeit von 3 ist in Formularverträgen wegen §§ 307 II Nr 1, 310 IV 2 zw (ErfK/Preis § 615 Rz 129).

B. Die einzelnen Regelungen.

I. Annahmeverzug, S 1.

 

Rn 3

Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs des Dienstberechtigten sind in den §§ 293–300 geregelt, während §§ 301–304 die für Dauerschuldverhältnisse wenig passenden allgemeinen und § 615 die nur für Dienst- und Arbeitsverhältnisse geltenden besonderen Rechtsfolgen festlegt.

1. Voraussetzungen des Annahmeverzugs.

a) Erfüllbares Dienstverhältnis.

 

Rn 4

Voraussetzung ist zunächst ein wirksames – auch faktisches (§ 611 Rn 58) – Dienst-/Arbeitsverhältnis. Das Dienstverhältnis ist erfüllbar, wenn Dienstverpflichteter zur Dienstleistung verpflichtet und Dienstnehmer zur Annahme berechtigt ist. Daher kein Annahmeverzug bei rückwirkend begründetem Arbeitsverhältnis (BAG NZA 16, 691 [BAG 27.01.2016 - 5 AZR 9/15]; 15, 1460 [BAG 19.08.2015 - 5 AZR 975/13]) oder wenn Dienstverpflichteter wirksam von Dienstpflicht befreit ist, zB bei Urlaubsgewährung (BAG NZA 01, 597 [BAG 23.01.2001 - 9 AZR 26/00]), vertraglich vereinbarter Freistellung (BAG NZA 08, 595 [BAG 23.01.2008 - 5 AZR 393/07]), ruhendem Arbeitsverhältnis (zB Elternzeit, LAG Niedersachsen LAGReport 04, 168), oder erfolgreichem Auflösungsantrag nach § 9 KSchG (BAG NZA 18, 646).

b) Ordnungsgemäßes Angebot.

 

Rn 5

Der dienstverpflichtete ArbN muss die geschuldete Leistung (BAG NZA 16, 494 [BAG 18.11.2015 - 5 AZR 814/14]) anbieten, § 293, soweit dies nicht ausnahmsweise entbehrlich ist (§ 296). Grds ist tatsächliches Angebot (§ 294) erforderlich am Arbeitsort oder Arbeitsplatz, um mit der geschuldeten Arbeitsleistung zu beginnen (BAG NZA 17, 1528 [BAG 28.06.2017 - 5 AZR 263/16]).

 

Rn 6

Ein wörtliches Angebot genügt, wenn der Dienstberechtigte (ArbG) vorher erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen, oder erforderliche Mitwirkungshandlungen unterlässt (§ 295 1). Wörtlichem Angebot steht die Aufforderung an den ArbG, die Mitwirkungshandlung vorzunehmen, gleich (§ 295 2). Ein tatsächliches oder wörtliches Angebot ist auch im ungekündigten Arbeitsverhältnis – zB bei Wiedereintritt der Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft – erforderlich (BAG MDR 94, 77), ein tatsächliches Angebot, wenn die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags strittig ist (BAG NZA 06, 435). Vom ArbG als erfüllungsuntauglich eingestufte Arbeit muss der ArbN nicht anbieten (BAG DB 08, 1573).

 

Rn 7

Kündigung (§ 620 Rn 31 ff) ist wichtigster Fall der Ablehnungserklärung iSv § 295 1 (Rn 11).

 

Rn 8

Freie Dienstnehmer (auch die Organe juristischer Personen, § 611 Rn 30) müssen grds auch nach Kündigung ihre Dienste gem § 295 anbieten (BGH NJW-RR 97, 538 [BGH 16.12.1996 - II ZR 268/95]). Ausreichend ist jedoch, wenn Protest des Dienstverpflichteten gegen die Kündigung erkennbar ist, zB durch Gehaltsklage (BGH aaO). Ist Weiterbeschäftigung ausgeschlossen, zB weil neuer Geschäftsführer bestellt ist, ist Angebot gem § 296 entbehrlich (BAG NZA 06, 1094 [BAG 12.07.2006 - 5 AZR 277/06]; BGH NJW 01, 288 [BGH 09.10.2000 - II ZR 75/99]).

 

Rn 9

Im gekündigten ...

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