Gesetzestext

 

(1) Unbeschadet der Artikel 5 und 7 unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (›Verbraucher‹), mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt (›Unternehmer‹), dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer

a) seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder
b) eine solche Tätigkeit auf irgendeiner Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

(2) Ungeachtet des Absatzes 1 können die Parteien das auf einen Vertrag, der die Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt, anzuwendende Recht nach Artikel 3 wählen. Die Rechtswahl darf jedoch nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Absatz 1 mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.

(3) Sind die Anforderungen des Absatzes 1 Buchstabe a oder b nicht erfüllt, so gelten für die Bestimmung des auf einen Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer anzuwendenden Rechts die Artikel 3 und 4.

(4) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für:

a) Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat;
b) Beförderungsverträge mit Ausnahme von Pauschalreiseverträgen im Sinne der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen;
c) Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben, mit Ausnahme der Verträge über Teilzeitnutzungsrechte an Immobilien im Sinne der Richtlinie 94/47/EG;
d) Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit einem Finanzinstrument sowie Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Ausgabe oder das öffentliche Angebot und öffentliche Übernahmeangebote bezüglich übertragbarer Wertpapiere und die Zeichnung oder den Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren festgelegt werden, sofern es sich dabei nicht um die Erbringung von Finanzdienstleistungen handelt;
e) Verträge, die innerhalb der Art von Systemen geschlossen werden, auf die Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h Anwendung findet.

A. Ursprung und Überblick.

 

Rn 1

Verbraucherverträge werden heute materiell-rechtlich vielfach besonders geregelt und dementspr enthält Art 6 eine Sonderkollisionsnorm für Verbraucherverträge. Die Regel folgt Art 5 EVÜ = Art 29 EGBGB nach, der insb in der deutschen Rspr praktisch geworden ist (Basedow FS Jayme 3, 5), die aber nicht notwendigerweise alleuropäisch überzeugt. Bei der Auslegung sind die Verzahnung mit Art 17 (ex 15) EuGVVO (ex Art 13 EuGVÜ) und den Verbraucherrichtlinien sowie die entspr Rspr des EuGH zu beachten (s Erw 7), doch bestehen auch Divergenzen (vgl EuGH C-208/18 Petruchová, NZG 20, 119 [BGH 17.10.2019 - IX ZR 215/16] = ECLI:EU:C:2019:825 zu Art 6 IV; hierzu ausführlich Coester-Waltjen IPRax 20, 385 ff). Art. 5 und 7 gehen vor. Art 6 I regelt den Anwendungsbereich und die an gewisse Voraussetzungen gebundene objektive Anknüpfung, II die subjektive Anknüpfung mit Aufrechterhaltung des Schutzes des nach I objektiv anwendbaren Rechts, III den bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des I eingreifenden Verweis auf die allgemeinen Regeln und IV schließlich Ausnahmen von Art 6. Die Norm enthält ggü dem EVÜ einige Erweiterungen und Eingrenzungen, aber wenig grundstürzende Änderungen. Da die Verbraucherverträge als Hauptproblem der Schwierigkeiten des Rechtsetzungsverfahrens bezeichnet wurden (Berichterstatter MdEP Dumitrescu im EP, 29.11.07, vom ›Herz‹ der VO sprach MdEP Lehne), ist dies bemerkenswert; ihn als verpasste Gelegenheit zu bezeichnen (Pelegrini Rev Lamy dr des aff 08, 71, 76: ›rendez-vous manqué‹), ist zu negativ. Allerdings wurde das Verhältnis zu den Eingriffsnormen des Art 9 nicht klargestellt (u. Art 9 ROM I Rn 3) und die früher in Art 29a EGBGB, nunmehr Art 46b EGBGB nF umgesetzten Richtlinienkollisionsnormen beibehalten, was als ›wesentliche Schwäche‹ bezeichnet worden ist (Th. Pfeiffer EuZW 08, 622, 626; s aber Art 46b EGBGB Rn 1). IdR wird man Art 6 vor Art 46b EGBGB prüfen. Am 11.10.11 hatte die Kommission einen Vorschlag für ein wählbares ›Gemeinsames Europäisches Kaufrecht‹ vorgelegt, das gerade auch grenzüberschreitende Verbraucherverträge erfassen sollte, doch ist dieser zurückgezogen und durch die neuen RL 2019/770 und 2019/771 abgelöst worden.

B. Anwendungsbereich.

I. Eingrenzungen.

 

Rn 2

Der Anwendungsbereich des Art 6 wird in I näher umschrieben und eingeschränkt: Es muss ein Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer vorliegen und eine...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge