Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit für Verbrauchersachen. Begriff ‚Verbraucher’. Natürliche Person, die Geschäfte auf dem internationalen Devisenmarkt über eine Broker-Gesellschaft tätigt. Begriff ‚Kleinanleger’

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 17 Abs. 1; Richtlinie 2004/39/EG; EGV Nr. 593/2008 (Rom I)

 

Beteiligte

Petruchová

Jana Petruchová

FIBO Group Holdings Limited

 

Tenor

Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine natürliche Person, die aufgrund eines Vertrags wie eines mit einer Broker-Gesellschaft geschlossenen Differenzgeschäfts Transaktionen auf dem internationalen Devisenmarkt FOREX (Foreign Exchange) über diese Gesellschaft tätigt, als „Verbraucher” im Sinne dieser Vorschrift einzustufen ist, wenn der Abschluss dieses Vertrags nicht zu der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person gehört, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. In Bezug auf diese Einstufung sind zum einen Faktoren wie der Wert der aufgrund von Verträgen wie Differenzgeschäften vorgenommenen Transaktionen, die Höhe der mit dem Abschluss solcher Verträge verbundenen Risiken finanzieller Verluste, etwaige Kenntnisse oder eine etwaige Erfahrung der Person auf dem Gebiet von Finanzinstrumenten oder ihr aktives Handeln im Rahmen solcher Transaktionen für sich genommen grundsätzlich nicht erheblich und hat zum anderen für sich genommen der Umstand grundsätzlich keine Auswirkungen, dass Finanzinstrumente nicht unter Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) fallen oder dass diese Person ein „Kleinanleger” im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 12 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší soud (Oberster Gerichtshof, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 13. März 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 23. März 2018, in dem Verfahren

Jana Petruchová

gegen

FIBO Group Holdings Limited

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin C. Toader sowie der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen und M. Safjan (Berichterstatter),

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Petruchová, vertreten durch M. Hostinský, advokát,
  • der FIBO Group Holdings Limited, vertreten durch J. Komárek, advokát,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Šimerdová und M. Heller als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. April 2019

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Jana Petruchová und der FIBO Group Holdings Limited (im Folgenden: FIBO) wegen einer Klage auf Zahlung der Differenz des Betrags zwischen dem von Frau Petruchová erzielten Gewinn und dem Gewinn, den sie erzielt hätte, wenn ihre Order des Kaufs einer Devise von FIBO unverzüglich ausgeführt worden wäre.

Rechtlicher Rahmen

VerordnungNr. 1215/2012

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 15, 16 und 18 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. …

(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. …

(18) Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.”

Rz. 4

Abschnitt 4 („Zuständigkeit bei Verbrauchersachen”) in Kapitel II dieser Veror...

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