Rn 35

Die ergänzende Vertragsauslegung bedarf nach verschiedenen Seiten der Abgrenzung. Sie geht der Irrtumsanfechtung nach § 119 vor, weil Gegenstand der Anfechtung der durch (ergänzende) Auslegung ermittelte Inhalt der Willenserklärung ist. Zur Anfechtbarkeit von Vertragsergänzungen Rn 28.

 

Rn 36

Der methodische Unterschied zwischen ergänzender Vertragsauslegung und geltungserhaltender Reduktion liegt darin, dass durch die geltungserhaltende Reduktion eine Vertragslücke, welche Voraussetzung für die ergänzende Auslegung ist, vermieden wird. Soweit also im individualvertraglichen Bereich eine geltungserhaltende Reduktion auf den noch zulässigen Vertragsinhalt möglich ist, erscheint diese unter dem Gesichtspunkt der Parteiautonomie ggü der ergänzenden Vertragsauslegung vorzugswürdig (Staud/Roth Rz 36).

 

Rn 37

Für den Bereich der Auslegung von AGB ist das von der hM aus § 306 II entnommene Verbot der geltungserhaltenden Reduktion zu beachten (s § 306 Rn 4). Daher kommt bei unzulässigen AGB die Schließung der Lücke im Wege ergänzender Vertragsauslegung nur dann in Betracht, wenn dispositives Gesetzesrecht zur Füllung der Lücke nicht zur Verfügung steht und die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel keine angemessene, den typischen Interessen des AGB-Verwenders und seines Vertragspartners Rechnung tragende Lösung bietet (BGH NJW 15, 1167 Tz 23 ff). Die Vertragsergänzung darf ihrerseits nicht auf eine geltungserhaltende Reduktion hinauslaufen (BGHZ 143, 103, 119 = NJW 00, 1110, 1114; LG Bremen ZIP 06, 1301; NK-BGB/Looschelders Rz 40. Gegen das grds Verbot der geltungserhaltenden Reduktion bei AGB Staud/Roth Rz 49). Im Verbandsprozess nach dem UKlaG hat die ergänzende Vertragsauslegung keinen Anwendungsbereich (BGH NJW 07, 1054, 1057 [BGH 13.12.2006 - VIII ZR 25/06]).

 

Rn 38

Ggü der von § 139 im Zweifel statuierten Totalnichtigkeit des Vertrags bei Unwirksamkeit eines einzelnen Teils kann durch ergänzende Vertragsauslegung die infolge der Teilnichtigkeit entstandene Lücke geschlossen werden. Die Totalnichtigkeit wird dadurch vermieden. Die ergänzende Vertragsauslegung geht daher der Anwendung von § 139 vor (BGH NJW 75, 44; Köln ZMR 99, 633; Staud/Roth Rz 7).

 

Rn 39

Das Verhältnis der ergänzenden Vertragsauslegung zur Umdeutung nach § 140 ist schwer zu bestimmen und fließend (MüKo/Busche § 140 Rz 3), da in beiden Fällen der hypothetische Parteiwille maßgeblich ist. § 140 ist insofern eine Spezialregelung für den Fall, dass die Regelungslücke durch die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts entstanden ist.

 

Rn 40

Sowohl tatbestandlich als auch auf der Rechtsfolgenseite bestehen enge Berührungspunkte zum Wegfall der Geschäftsgrundlage. Auch ggü § 313 ist die ergänzende Vertragsauslegung als die der Parteiautonomie nähere Methode vorrangig (BGHZ 164, 286 = ZIP 05, 2197; NJW 01, 2465; Hamm NJW-RR 93, 181; Staud/Roth Rz 9; NK-BGB/Looschelders Rz 7). Die Anpassung des Vertrags reicht insofern über die ergänzende Auslegung hinaus, als eine Anpassung auf der Grundlage von § 313 auch vorgenommen werden kann, wenn es unmöglich ist, einen hypothetischen Parteiwillen festzustellen.

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