Rn 11

Zweifel an der Unparteilichkeit können sich aufgrund persönlicher Kontakte (Freund- oder Bekanntschaft, Feindschaft; s Rn 12) oder wirtschaftlicher Kontakte (Verbundenheit, Konkurrenz; s Rn 13) des SV zu einer Prozesspartei sowie bei einer früheren Begutachtung für eine Partei (Rn 14) oder unmittelbarem Eigeninteresse des SV (Rn 15) ergeben. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls (Saarbr MDR 08, 226), es kommt insb auf die Intensität des konkreten Verhältnisses an (iE Rn 1215). Auch bei einer wenig ausgeprägten Beziehung kann Voreingenommenheit zu besorgen sein, wenn der SV diese verschweigt (Jena MDR 10, 170; NJW-RR 21, 191) oder ›scheibchenweise‹ erst auf Nachfrage offenlegt (vgl Celle MedR 16, 628; 07, 229; Karlsr BauR 87, 599). Die Beziehung kann dabei zur Partei selbst oder mittelbar über im Lager stehende Personen bestehen (auch zum Prozessbevollmächtigten BGH NJW-RR 87, 893; Hamm MedR 10, 640, 641 [OLG Hamm 20.01.2010 - 1 W 85/09]; zum Sohn Frankf OLGR 08, 784). UU kann sich die Besorgnis der Befangenheit auch aus einem Kontakt zu nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten ergeben (Ddorf NJW-RR 97, 1428 [OLG Düsseldorf 08.07.1997 - 22 W 29/97]: Privatgutachten für andere Erwerber desselben Haustyps im selben Baugebiet; Frankf NJW 83, 581: mehrere Erwerber von Eigentumswohnungen), s.a. Rn 16.

 

Rn 12

Je intensiver das Näheverhältnis zwischen einer Prozesspartei und dem SV erscheint, desto eher ist dessen Befangenheit zu besorgen. Noch keine Zweifel an der Unparteilichkeit sind bei bloßer Bekanntschaft oder rein kollegialer Zusammenarbeit anzumelden (Celle MDR 07, 105: Lehrer-Schüler-Verhältnis vor 30 Jahren; krit Rumler-Detzel VersR 99, 1209). Auch die gemeinschaftliche Mitwirkung an Studien, Publikationen und Tagungen sowie die Mitgliedschaft in derselben Fachgesellschaft oder Kammer erscheint in Wissenschaft und Praxis selbstverständlich und bewirkt für sich genommen keine Voreingenommenheit (KG NJW 17, 3530, 3533 f; Naumbg MedR 15, 357, 359; Hamm MDR 13, 169, 170 mwN; München MedR 07, 359, 360; ZIP 11, 1983). Treten aber Anhaltspunkte einer engeren beruflichen, akademischen oder privaten Beziehung hinzu, lässt sich die Befangenheit begründen (Jena NJW-RR 21, 191 [OLG Dresden 08.10.2020 - 4 W 655/20]; MDR 10, 170: Lehrer-Schüler-Verhältnis; Schlesw SchlHA 97, 42: Mitgliedschaft im selben Facharbeitskreis, zweifelnd St/J/Berger § 406 Rz 15; Köln VersR 93, 72, 73: Promotionsverhältnis). Entspr gilt bei Feindschaft oder Spannungen (Naumbg MedR 99, 183 f; Köln NJW 92, 762 [OLG Köln 06.05.1991 - 27 W 6/91]; München VersR 68, 207). Berechtigte Gegenwehr und Kritik aber darf der SV unbefangen üben (Ddorf BB 75, 627; s.a. Rn 17). Bei zurückliegenden Kontakten kommt es darauf an, ob daraus fortwirkende Umstände wie eine Freund- oder Feindschaft resultieren (vgl BVerfG NJW 04, 3550 [BVerfG 29.06.2004 - 1 BvR 336/04]).

 

Rn 13

Auch bei wirtschaftlichen Beziehungen kommt es auf die Intensität des Verhältnisses zwischen SV und Prozesspartei an. Der Verdacht der Parteilichkeit drängt sich geradezu auf bei einem direkten Anstellungs- oder Weisungsverhältnis (zB RGZ 66, 53: Stadtverordneter der bekl Gemeinde; Stuttg OLGR 08, 618: Chefarzt eines Lehrkrankenhauses des bekl Universitätsklinikums; umgekehrt ist der SV als Vorgesetzter des Bekl nicht zwingend befangen, Karlsr FamRZ 91, 965). Bereits differenzierter zu sehen sind aber entgeltliche Tätigkeiten und Geschäftsbeziehungen iwS (s Karlsr GesR 12, 422: Industriekooperation; zur privatgutachterlichen Vortätigkeit Rn 14). Umfangreiche gegenseitige Patientenüberweisungen lassen Befangenheit besorgen (Dresd GesR 17, 433; Oldbg MedR 07, 716; aA Karlsr NJW 84, 1413), ebenso ein länger andauerndes Patientenverhältnis einer Partei zum SV (Rostock VersR 96, 124). Gleichwohl berechtigt nicht jede entgeltliche Tätigkeit zur Ablehnung des SV, vielmehr ist dafür eine gewisse wirtschaftliche Abhängigkeit des SV nötig (Stuttg OLGR 08, 618; München MDR 98, 858: exklusiver Ersatzteilbezug). Daran fehlt es zB bei ›losen‹ Kontakten iRe nebenberuflichen Lehrtätigkeit (Oldbg VersR 09, 238) oder bei einmaliger Krankenbehandlung einer Partei (Köln VersR 92, 517). Besonders schwierig zu beurteilen sind mittelbare Beziehungen des SV zu einer Prozesspartei, bspw wenn der SV bei dem bekl Bundesland dienstverpflichtet ist – zB als Hochschullehrer oder Verwaltungsbediensteter. Die Rspr weist hier keine einheitlichen Linien auf: Einige Gerichte lassen die bloße organisatorische Einordnung zur Annahme der Befangenheit des SV genügen (Hambg MDR 83, 412; München MDR 02, 291: wegen ›sublimer Formen der Rücksichtnahme‹; wohl auch Naumbg GesR 10, 203, 206), zT sogar bei beruflichem Verhältnis des SV zu Dritten – etwa wenn nicht das Land als Dienstherr des SV bekl ist, sondern eine Universitätsklinik dieses Landes, bei welcher der SV selbst nicht tätig ist (Nürnbg MDR 06, 469 [OLG Nürnberg 29.09.2005 - 5 W 1834/05]; anders nunmehr MedR 11, 665); s.a. Jena NZS 16, 869: Befangenheit eines beim ...

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