Gesetzestext

 

Das Urteil kann nur von denjenigen Richtern gefällt werden, welche der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben.

A. Normzweck und Grundlagen.

 

Rn 1

§ 309 legt fest, welcher Richter als gesetzlicher Richter iSd Art 101 I 2 bei der Urteilsfällung (§§ 192 ff GVG) mitwirken kann und darf, wenn zB im Laufe des Verfahrens ein Richterwechsel eingetreten ist (R/S/G § 80 Rz 3; BAGE 101, 145, 152 [BAG 16.05.2002 - 8 AZR 412 01] = MDR 03, 47, 48). Die Regelung ist ein Ausdruck verfassungsrechtlich verbürgter Grundsätze und daher nicht verzichtbar (Stuttg ZZP 68, 94). § 309 konkretisiert zugleich den Grundsatz der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit des Prozesses. (Nur) derjenige Richter darf an der Urteilsfällung mitwirken, der an der dem Urt zugrunde liegenden mündlichen Verhandlung (wohlgemerkt: nicht am gesamten Verfahren) als Richter beteiligt war (BGH NJW 81, 1273, 1274 [BGH 05.12.1980 - V ZR 16/80]). Darin liegt eine Beschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, die dem Umstand Rechnung trägt, dass ein Richterausfall während eines längeren Verfahrens bisweilen unvermeidlich ist. § 309 wird ergänzt durch die Vorschriften über die Entscheidungsberatung der §§ 192–197 GVG.

B. Voraussetzungen.

I. Urteilsfällung.

 

Rn 2

§ 309 betrifft allein die Urteilsfällung, die mit Ausnahme der Fälle des § 311 II 3 in der schriftlichen Niederlegung der Urteilsformel seinen Abschluss findet, nicht die Verkündung des Urteils (BGHZ 61, 369, 370 = NJW 74, 143, 144; 02, 1426, 1428; NJW 15, 3181 Rz 3; OLG Frankfurt BKR 17, 380 Rz 24), sodass ein Richterwechsel nach der mündlichen Verhandlung und der geheimen Schlussberatung und der Verkündung nicht schadet. Gefällt ist das Urteil erst, wenn über das Urteil abschließend beraten und abgestimmt worden ist (BGH NJW-RR 12, 508, 509 [BGH 01.03.2012 - III ZR 84/11] Rz 9; BAG NZA 15, 956, 957 [BAG 06.05.2015 - 2 AZN 984/14]; Frankf BKR 17, 380 [OLG Nürnberg 29.05.2017 - 14 U 118/16] Rz 24; Hamm NZG 22, 1211 [OLG Hamm 28.03.2022 - 8 U 73/20]). Die endgültige Beratung und Abstimmung darf nicht vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung, im Falle eines Schriftsatznachlasses nicht vor Ablauf der gesetzten Frist stattfinden (BGH NJW-RR 15, 893, 894 [BGH 21.04.2015 - II ZR 255/13] Rz 12). Zur Unterschriftenvertretung § 315 I 2 und dort Rn 5 ff. Vor der Verkündung ist das Urt nur ein Entwurf (iSd § 299 IV; BGHZ 14, 39, 44). Daher kann das Gericht seine Entscheidung jederzeit überdenken und erneut in eine Beratung und Abstimmung eintreten; das setzt aber einen Mehrheitsbeschluss voraus, für den ebenfalls § 309 gilt (BGHZ 61, 369, 370 = NJW 74, 143, 144; St/J/Althammer Rz 4). Nach der Verkündung gilt für die Berichtigung des Urteils nur § 319.

§ 309 gilt aber nicht nur bei Kollegialspruchkörpern, sondern auch beim Einzelrichter. Die Urteilsfällung ist abgeschlossen, wenn der Einzelrichter seine Urteilsformel niederlegt (Musielak/Musielak Rz 3; vgl auch Vollkommer NJW 68, 1309, 1311); auch insoweit folgt aus § 309, dass nur eben dieser Einzelrichter das Urt bis zur Verkündung ohne erneute mündliche Verhandlung abändern darf. Hat die gesamte Kammer das Urt unterschrieben, obwohl ausweislich des Protokolls nur der Einzelrichter die Verhandlung geführt hat, so ist § 309 verletzt (BGH WuM 09, 145). § 309 ist in allen Instanzen zu beachten.

II. Teilnahme an der Verhandlung.

 

Rn 3

Die das Urt sprechenden Richter müssen an der sog Schlussverhandlung teilgenommen haben (Musielak/Musielak Rz 2), nicht aber notwendigerweise an einer früheren Beweisaufnahme (BGH NJW 79, 2518; Hamm MDR 93, 1235f), bea aber § 370. Eine Beweisaufnahme muss nach Richterwechsel also aus Gründen des § 309 nicht wiederholt werden, zB bei Verwertung einer Urkunde, die in einem früheren Termin zum Gegenstand des Urkundsbeweises gemacht worden ist. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit (nicht § 309 für sich genommen) ist aber verletzt, wenn nach Richterwechsel nicht wörtlich protokollierte Zeugenaussagen gewürdigt werden (BGH NJW 62, 960).

›Verhandlung‹ iSd § 309 meint nur die mündliche Verhandlung; § 309 gilt nicht für das schriftliche Verfahren (§ 128) (BVerfG NJW 08, 2243 [BVerfG 30.01.2008 - 2 BvR 2300/07] Rz 14 f: verfassungsrechtl unbedenklich) und auch nicht für ein AU iSd § 307 II, VU nach § 331 III, nicht für interne Verfügungen und auch nicht für die Entscheidung nach Lage der Akten, §§ 251a, 331a, weil dem Urt hier gerade nicht die Verhandlung zugrunde liegt und daher die Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsmaxime keine Bedeutung mehr hat (§ 251a Rn 3). Daher ist ein Richterwechsel nach einer mündlichen Verhandlung und nach einem sodann erfolgten Wechsel in das schriftliche Verfahren zulässig (Hamm BeckRS 09, 28644; München BeckRS 15, 13776). Ein Richterwechsel zwischen Hinweisbeschluss nach § 522 II 2 und Zurückweisungsbeschluss soll für § 309 ohne Bedeutung sein, weil es sich um eine Entscheidung nach Aktenlage handelt (BVerfG NJW 04, 3696). § 309 ist nicht verletzt, wenn nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung der Vorsitzende des Spruchkörpers ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter die Wiedereröffnung der mündlichen ...

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