Gesetzestext

 

(1) Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück zugestellt werden

1. in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner,
2. in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person,
3. in Gemeinschaftseinrichtungen dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter.

(2) Die Zustellung an eine der in Absatz 1 bezeichneten Personen ist unwirksam, wenn diese an dem Rechtsstreit als Gegner der Person, der zugestellt werden soll, beteiligt ist.

A. Normzweck.

 

Rn 1

Um das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, ermöglicht § 178 (auch bei Parteizustellung) die Zustellung mit sofortiger Wirkung an eine Ersatzperson, wenn der Zustellungsadressat oder sein rechtsgeschäftlicher Vertreter (§ 171) nicht angetroffen (vgl § 177) wird. § 178 beruht auf der Vermutung, dass die Ersatzperson das Dokument an den Adressaten weitergibt. Dass dies tatsächlich geschieht, ist aber nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung. Eine Wissenszurechnung erfolgt nach § 178 nicht, wenn es materiell-rechtlich (zB § 932 BGB) oder prozessrechtlich (zB § 233) auf Kenntnis ankommt. Abs 2 verbietet die Zustellung, wenn für die Ersatzperson eine Interessenkollision besteht.

B. Tatbestandsvoraussetzungen.

I. Nicht angetroffen.

 

Rn 2

Eine Ersatzzustellung ist nur dann zulässig, wenn der Zusteller eine Zustellung an einem der in § 178 genannten Orte versucht und den Zustellungsadressaten dort nicht angetroffen hat. Der Zustellungsversuch darf nicht zu einer allgemein unpassenden Zeit erfolgt sein. Nicht angetroffen ist der Adressat insb, wenn der Zusteller aus irgendeinem Grund nicht zu dem Adressaten gelangen konnte, und auch dann, wenn er zwar anwesend, eine Zustellung an ihn aber nicht möglich ist, weil er an der Annahme des Dokuments gehindert ist. Eine Ersatzzustellung in der Wohnung ist auch möglich, wenn ein Angehöriger des Adressaten auf Nachfrage dessen Abwesenheit beteuert (BFHE 173, 213, 215 [BFH 25.01.1994 - VIII R 45/92]). Eine Durchsuchung der Räume, um den Adressaten aufzufinden, ist nicht zulässig, aber auch nicht erforderlich. Bei Geschäftsräumen ist der Zusteller grds nicht zu weiteren Nachforschungen verpflichtet, wenn der Zustellungsadressat als abwesend oder verhindert bezeichnet wird; es genügt die widerspruchslose Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks durch eine in den Geschäftsräumen beschäftigte Person (BGH MDR 15, 415 mN; NJW 17, 2472 [BGH 29.03.2017 - VIII ZR 11/16] Rz 29). Erklärt der Adressat, er könne das Dokument nicht entgegennehmen, greift § 179 ein. Ist der Adressat verstorben, kann an ihn nicht mehr, auch nicht nach § 178, zugestellt werden.

II. Ersatzzustellung in der Wohnung.

1. Wohnung.

 

Rn 3

Wohnung ist der Raum oder sind die Räume, in denen der Adressat tatsächlich lebt (BGH NJW 19, 2942 [BGH 14.05.2019 - X ZR 94/18] Rz 9; BFH Beschl v 25.7.16 – X B 20/16 Rz 16; BGH NJW-RR 97, 1161 [BGH 04.06.1997 - XII ARZ 13/97] zu § 181 aF), insb wo er übernachtet (BFH aaO; Dresd Rpfleger 05, 269 [OLG Dresden 24.11.2004 - 2 Ws 662/04]), wo er also – zumindest vorübergehend – seinen räumlichen Lebensmittelpunkt hat. Dass er dort seine Schlafstelle hat, ist nicht zwingend erforderlich (Köln NJW-RR 89, 443 [OLG Köln 16.08.1988 - 22 W 30/88]).

 

Rn 3a

Voraussetzung für eine wirksame Ersatzzustellung ist, dass an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten tatsächlich von diesem genutzt wird (BGHZ 190, 99 Rz 13 mwN). Diese Tatbestandsvoraussetzung wird von der Beweiskraft der Zustellungsurkunde nicht mehr erfasst. Die in der Urkunde enthaltene Erklärung des Zustellers, er habe den Adressaten ›in seiner Wohnung‹ nicht angetroffen, ist lediglich ein beweiskräftiges Indiz dafür, dass der Adressat unter dieser Zustellanschrift wohnt (BVerfG NJW 92, 224, 225; BGH NJW 92, 1963; 04, 2386, 2387; ZInsO 20, 1127 Rz 56).

Der äußere Anschein, eine Wohnung zu unterhalten, genügt nicht; er kann aber unter engen Voraussetzungen dazu führen, dass dem Adressaten die Berufung auf eine fehlerhafte Ersatzzustellung wegen unzulässiger Rechtsausübung versagt sein kann (ausf zur Hervorrufung des Anscheins einer Wohnung BGH NJW 19, 2941 Rz 9, 11; BGHZ 190, 99 Rz 14 f = NJW 11, 2440; vgl auch BFH aaO), was verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfG NJW-RR 10, 421 [BVerfG 15.10.2009 - 1 BvR 2333/09] Rz 18).

Ein Adressat kann mehrere Wohnungen haben (LG Heidelberg ZMR 15, 817: Zweitwohnung). Bei einem Einfamilienhaus gehören zur Wohnung auch Hof und Garten. Die Definition des § 7 BGB ist nicht maßgeblich (BGH NJW 78, 1878; BayObLG Rpfleger 84, 105), ebenso wenig die behördliche Meldung (BFH aaO; BGH NJW-RR 86, 1083 [BGH 04.03.1986 - VI ZR 242/84] zu § 181 aF). Wohnung kann auch ein Hotel- oder Klinikzimmer sein; eine Ferienwohnung dagegen grds nicht. Eine vorübergehende Abwesenheit zB aufgrund Reise, Klinikaufenthalt (BGH NJW 85, 2197; Zweibr MDR 84, 762 jeweils zu § 181 aF), U...

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