Gesetzestext

 

(1) Auf das Musterverfahren sind die im ersten Rechtszug für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. § 278 Absatz 2 bis 5 sowie die §§ 306, 348 bis 350 und 379 der Zivilprozessordnung sind nicht anzuwenden. In Beschlüssen müssen die Beigeladenen nicht bezeichnet werden.

(2) Die Zustellung von Terminsladungen und Zwischenentscheidungen an Beigeladene kann durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden. Die öffentliche Bekanntmachung wird durch Eintragung in das Klageregister bewirkt. Zwischen öffentlicher Bekanntmachung und Terminstag müssen mindestens vier Wochen liegen.

(3) Die Bundesregierung und die Landesregierungen können für ihren Bereich durch Rechtsverordnung Folgendes bestimmen:

1. den Zeitpunkt, von dem an im Musterverfahren elektronische Akten geführt werden, sowie
2. die organisatorisch-technischen Rahmenbedingungen für die Bildung, Führung und Aufbewahrung der elektronischen Akten.

Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

(4) Die Bundesregierung und die Landesregierungen können für ihren Bereich durch Rechtsverordnung bestimmen,

1. dass im Musterverfahren Schriftsätze als elektronische Dokumente bei Gericht einzureichen sind,
2. dass Empfangsbekenntnisse als elektronische Dokumente zurückzusenden sind und
3. dass die Beteiligten dafür Sorge zu tragen haben, dass ihnen elektronische Dokumente durch das Gericht zugestellt werden können, sowie
4. welche Form für die Bearbeitung der Dokumente geeignet ist.

Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

A. Zweck.

 

Rn 1

Die Vorschrift verweist für die Durchführung des Musterverfahrens auf die allgemeinen Regeln des erstinstanzlichen Verfahrens vor den Landgerichten und nennt zugleich die Ausnahmen (Abs 1). Außerdem regelt sie in Abs 2 Zustellungen und öffentliche Bekanntmachungen im Musterverfahren; Abs 3–4 enthalten Verordnungsermächtigungen für die elektronische Aktenführung und die Nutzung elektronischer Dokumente. Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus sind jedoch auch weitere Besonderheiten für das Musterverfahren zu beachten (s.u. Rn 12 ff).

B. Explizite Sonderregeln für das Musterverfahren (Abs 1).

I. Gütliche Streitbeilegung.

 

Rn 2

Die Grundsätze des § 278 I u VI ZPO sind auch im Musterverfahren anwendbar; explizit ausgeschlossen ist dagegen die obligatorische Güteverhandlung gem § 278 II bis V ZPO.

II. Kein Verzicht.

 

Rn 3

Der Verzicht (§ 306 ZPO) durch den Musterkläger ist explizit ausgeschlossen, weil der Musterkläger nicht zu Lasten der Beigeladenen über den Verfahrensgegenstand disponieren darf. Zum Anerkenntnis s Rn 8.

III. Entscheidung durch Kollegialorgan.

 

Rn 4

Mit dem Ausschluss der §§ 348 bis 350 ZPO gem Abs 1 wird klargestellt, dass die Übertragung des Musterverfahrens auf den Einzelrichter nicht möglich ist. Die Terminsvorbereitung kann allerdings einem einzelnen Mitglied des Senats übertragen werden, § 12 I KapMuG.

IV. Kein Auslagenvorschuss.

 

Rn 5

Der Verzicht auf die Anforderung von Vorschüssen (§ 379 ZPO) gilt gem § 402 ZPO auch für Sachverständigengutachten; er war der (irrigen) Erwartung sehr hoher Gutachterkosten im Telekom-Prozess geschuldet, die man dem Musterkläger nicht allein aufbürden wollte (BTDrs 15/5091, 26). Die Kosten der Beweiserhebung werden daher zunächst von der Staatskasse getragen und erst nach Abschluss der jeweiligen Einzelverfahren von den Beteiligten anteilig eingefordert, s Nr 9018 KV GKG.

C. Terminsladungen und Aktenführung (Abs 2–4).

 

Rn 6

Den Beigeladenen wird gem Abs 2 im Interesse der Verfahrensökonomie zugemutet, sich regelmäßig im Klageregister über etwaige Ladungen zu informieren. Von der Verordnungsermächtigung des Abs 4 (entspricht § 9 IV KapMuG aF) hat das Land Hessen mit der VO v 26.10.07 (HessGVBl 07 I 699) Gebrauch gemacht (wN zum Landesrecht bei Wieczorek/Schütze/Kruis Rz 73 ff).

D. Geltung und Einschränkungen des Dispositionsgrundsatzes im Musterverfahren.

I. Klagerücknahme.

 

Rn 7

Die Rücknahme der Klage ist für jeden Kl der Ausgangsverfahren auch während des Musterverfahrens noch möglich, es gelten § 269 ZPO sowie für das Musterverfahren § 13 I u III KapMuG. Eine mündliche Verhandlung im Musterverfahren ist wegen der Eigenständigkeit des Musterverfahrens noch keine Verhandlung zur Hauptsache iSv § 269 I ZPO, so dass die Zustimmung des Beklagten nur notwendig ist, wenn bereits im Ausgangsverfahren zur Hauptsache mündlich verhandelt wurde (Bergmeister 228; KK-KapMuG/Vollkommer § 13 Rz 3; aA Vorwerk/Wolf/Fullenkamp § 11 KapMuG aF Rz 3). Jedoch ändert die Rücknahme der Klage nach Ablauf der in § 8 II KapMuG bestimmten Frist nichts an der Bindung an die Ergebnisse des Musterverfahrens, s § 22 I 3 KapMuG.

II. Anerkenntnis.

 

Rn 8

Wenn auch für den Musterkläger der Verzicht ausgeschlossen ist (s.o. Rn 3), so wird auf Seiten des Musterbeklagten ein rein prozessual zu verstehendes Anerkenntnis für möglich gehalten (KK-KapMuG/Vollkommer Rz 140; aA Wieczorek/Schütze/Kruis Rz 26). Dies könnte sich aber nur auf im Musterverfahren begehrte Tatsachenfeststellungen beziehen; bei Rechtsfragen besteht von vorneherein keine Dispositionsbefugnis der Parteien.

III. Erledigungserklärung.

 

Rn 9

Eine Beendigung des Musterverfahrens durch übereinstimm...

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