Gesetzestext

 

Sind Ehesachen, die dieselbe Ehe betreffen, bei verschiedenen Gerichten im ersten Rechtszug anhängig, sind, wenn nur eines der Verfahren eine Scheidungssache ist, die übrigen Ehesachen von Amts wegen an das Gericht der Scheidungssache abzugeben. Ansonsten erfolgt die Abgabe an das Gericht der Ehesache, die zuerst rechtshängig geworden ist. § 281 Abs. 2 und 3 Satz 1 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

A. Allgemeines.

 

Rn 1

Der allgemeine Teil des FamFG regelt in § 3, dass ein örtlich oder sachlich unzuständiges Gericht die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen hat. Gem § 4 kann ein Gericht die Sache aus wichtigem Grund an ein anderes Gericht abgeben. Diese Vorschriften sind gem § 113 I 1 in Ehesachen und Familienstreitsachen nicht anwendbar. Stattdessen gilt gem § 113 I 2 grds § 281 ZPO über die Verweisung bei Unzuständigkeit. Die Vorschrift des § 123 enthält eine von § 281 I ZPO abweichende Regelung für Ehesachen und ordnet zugleich ausdrücklich an, dass § 281 II, III 1 ZPO entsprechend gelten.

 

Rn 2

Die Vorschrift des § 123 soll die Zusammenführung sämtlicher gleichzeitig bei einem deutschen Gericht im ersten Rechtszug anhängiger Ehesachen (iSv § 121) erreichen, die dieselbe Ehe betreffen (BTDrs 16/6308, 227). In der ZPO war eine entsprechende Vorschrift nicht enthalten. Die Abgabe hat unabhängig davon zu erfolgen, ob die Ehesachen denselben Streitgegenstand haben oder nicht. Ist eine Ehesache bei einem inländischen Familiengericht und eine andere in einem anderen Mitgliedstaat der EU anhängig, beurteilt sich die doppelte Rechtshängigkeit nach Art 19 I iVm Art 16 EuEheVO. Danach hat das später angerufene Gericht das Verfahren so lange auszusetzen, bis die Zuständigkeit des früher angerufenen Gerichts geklärt ist. Soweit die EuEheVO nicht anwendbar ist, gilt § 113 I 2 iVm § 261 III Nr 1 ZPO entsprechend, wobei die frühere Rechtshängigkeit bei einem ausländischen Gericht nur entgegensteht, wenn die ausländische Entscheidung voraussichtlich nach § 109 FamFG anerkennungsfähig ist, was inzident zu prüfen ist (Prütting/Helms/Hau vor § 98 Rz 48 ff; ThoPu/Hüßtege § 123 Rz 1 mwN).

B. Die Regelung im Einzelnen.

I. Vorrang der Scheidungssache (S 1).

 

Rn 3

§ 123 S 1 regelt den Fall, dass bei einem inländischen Familiengericht eine Scheidungssache und bei einem anderen eine andere Ehesache betreffend dieselbe Ehe, insbesondere ein Verfahren wegen Aufhebung der Ehe nach §§ 1313 ff. BGB, anhängig ist. Gem § 124 FamFG wird das Verfahren in Ehesachen durch Einreichung einer Antragsschrift anhängig. Demgegenüber reicht ein Antrag auf Bewilligung von VKH für ein beabsichtigtes Eheverfahren nicht aus. Wird der VKH-Antrag zusammen mit einem Sachantrag in der Ehesache eingereicht, ist von einer Anhängigkeit der Ehesache auszugehen, wenn der ASt nicht eindeutig klarstellt, dass er den Antrag nur im Fall der Bewilligung von VKH stellen will. In diesem Fall ist die andere Ehesache vAw an das Gericht der Scheidungssache abzugeben. Damit soll der Bedeutung des Scheidungsverbundverfahrens (§§ 137 ff) Rechnung getragen werden (BTDrs 16/6308, 227). Da die anderen Ehesachen andere Verfahrensgegenstände haben, kann der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit der Scheidungssache auch dann nicht entgegengehalten werden, wenn sie das zeitlich nachfolgende Verfahren ist (BTDrs 16/6308, 227; MüKoFamFG/Lugani § 123 Rz 3; ThoPu/Hüßtege § 123 Rz 3; Schulte-Bunert/Weinreich/Roßmann § 123 Rz 8).

II. Prioritätsprinzip bei Rechtshängigkeit gleichrangiger Ehesachen (S 2).

 

Rn 4

Ein Anwendungsfall des S 1 liegt nicht vor, wenn a) entweder mehr als eine Scheidungssache anhängig ist oder b) ausschließlich Ehesachen iSv § 121 Nr 2 und 3 FamFG anhängig sind. Dann hat die Abgabe nach § 123 S 2 nach dem Prioritätsprinzip an das Familiengericht zu erfolgen, bei dem die zuerst rechtshängig gewordene Ehesache noch anhängig ist. Im Unterschied zu S 1 ist hier erfoderlich, dass zumindest einer der Anträge rechtshängig geworden ist. Durch die angordnete Abgabe vAw kann die Zulässigkeit des zeitlich nachfolgenden Verfahrens nicht am Einwand der entgegenstehenden Rechtshängigkeit scheitern. Werden beide Anträge am selben Tag rechtshängig, ist das zuständige Gericht in analoger Anwendung des ohnehin gem § 113 I anzuwendenden § 36 ZPO zu bestimmen (Prütting/Helms/Helms § 123 Rz 6; MüKoFamFG/Lugani § 123 Rz 6 mwN).

III. Modalitäten und Wirkungen der Abgabe (S 3).

1. Die Abgabeentscheidung.

 

Rn 5

S 3 ordnet die entsprechende Anwendung des § 281 II, III 1 ZPO an. Zwar gilt gem § 113 I 2 die Vorschrift des § 281 ZPO ›eigentlich‹ vollumfänglich; die ausdrückliche Regelung des § 123 S 3 nimmt die nicht ausdrücklich genannten Teile der Norm wieder aus (vgl auch MüKoFamFG/Lugani § 123 Rz 9). Hieraus folgt, dass Anträge betreffend die Zuständigkeit des Gerichts auch vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden können und dementsprechend nicht dem Anwaltszwang unterliegen, §§ 114 IV Nr 6, 78 III ZPO. Die Abgabe kann zwar gem § 113 I 2 iVm § 128 IV ZPO ohne mündliche Verhandlung ergehen; den Beteiligten ist aber vorher rechtliches Gehör zu gewähren (Prütting/Helms/Helms § 123 Rz 9). Der Abgabebeschluss ist unanfechtbar und für das Gericht, an das abgegeben wurde, bindend, § 281 II 4 ZPO. Die Vo...

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