1. Normgegenstand.

 

Rn 5

Eine Anerkennung scheidet ferner aus, wenn dem Beklagten nicht die Möglichkeit eröffnet worden ist, sich vor dem Gericht des Urteilsstaates zu verteidigen. Lit b erfasst nur die Phase der Verfahrenseinleitung; spätere Nichtgewährung hinreichenden rechtlichen Gehörs kann von lit a umfasst sein (BGH NJW-RR 12, 1013 f [BGH 14.06.2012 - IX ZB 183/09]; NJW 90, 2201; EuGH C 394/07 – Gambazzi/DaimlerChrysler, NJW 09, 1938 mit Anm Schinkels LMK 09, 289819). Da lit b ausscheidet, soweit sich der Beklagte eingelassen hat, betrifft die Norm in erster Linie Versäumnisurteile. Hingegen dürften solche Maßnahmen, die von vornherein vollstreckt werden sollen, ohne der anderen Partei auch nur die Möglichkeit eines kontradiktorischen Verfahrens zu eröffnen, regelmäßig aus dem Kreis der anerkennungsfähigen Entscheidungen (vgl die Kommentierung zu Art 2 lit a) herausfallen.

2. Verfahrenseinleitendes Schriftstück.

 

Rn 6

Der auch in Art 28 II angesprochene Begriff des verfahrenseinleitenden Schriftstücks umfasst jedes Schriftstück, durch welches dem Beklagten Kenntnis von der Verfahrenseinleitung und dadurch die Möglichkeit verschafft wird, seine Rechte im Erkenntnisverfahren vor dem Erstgericht geltend zu machen (EuGH C-474/93 – Hengst Import/Campese, EuZW 95, 803). Maßgeblich hierfür ist das Recht des Urteilsstaates. Das Schriftstück muss inhaltlich soweit bestimmt sein, dass dem Beklagten die wesentlichen Elemente des Rechtsstreits zur Kenntnis gebracht werden (EuGH C-172/91 – Sonntag/Waidmann, NJW 93, 2091; BGH IPRax 23, 33). Dem genügt ein Mahnbescheid nach deutschem Recht, nicht hingegen ein Vollstreckungsbescheid (EuGH Rs 166/80 – Klomps/Michel, IPRax 82, 14), wohl aber ein ›decreto ingiuntivo‹ nach italienischem Recht zusammen mit der Antragsschrift (EuGH C-474/93 – Hengst Import/Campese, EuZW 95, 803; weitere Beispiele bei Rauscher/Leible Rz 41). Die Frage nach der Behandlung einer isolierten Klage nach Rechtsvorschlag gegen einen Schweizer Zahlungsbefehl hat der BGH (BeckRS 22, 11532) dem EuGH mit Blick auf das LugÜ zur Vorabentscheidung vorgelegt.

3. Zustellung.

 

Rn 7

Während die Vorläufervorschrift des Art 27 Nr 2 EuGVÜ noch kumulativ auf die ›ordnungsgemäße‹ und ›rechtzeitige‹ Zustellung abstellte, kommt es heute nur noch darauf an, dass die Zustellung rechtzeitig in einer Weise erfolgt ist, die dem Beklagten eine effektive Verteidigungsmöglichkeit eröffnet hat. Nicht bereits jeder Fehler in der Art und Weise der Zustellung vereitelt daher das rechtliche Gehör, auf dessen Absicherung lit b nunmehr reduziert ist. Erforderlich ist allerdings, dass dem Beklagten die Möglichkeit verschafft wird, vom Inhalt des Verfahrens Kenntnis zu nehmen (EuGH C-420/07 – Apostolides/Orams, BeckRS 09, 70441; C-283/05 – ASML Netherlands/SEMIS, NJW 07, 825; BGH NJW 11, 3103; IPRax 08, 530 [BGH 12.12.2007 - XII ZB 240/05] mit Anm Roth [501]; vgl freilich auch München NJW-RR 08, 736 [OLG München 11.12.2007 - 25 W 2462/07]). Das zuzustellende Dokument kann dies nur leisten, soweit es den Gegenstand und den Grund des Verfahrens sowie die Aufforderung erkennbar macht, sich vor Gericht einzulassen. An einer hinreichenden Verteidigungsmöglichkeit kann es insb fehlen, wenn das Dokument in einer für den Empfänger nicht verständlichen Sprache abgefasst ist (MüKoZPO/Gottwald Rz 32). Verweigert im Anwendungsbereich der EuZustVO der Beklagte, welcher der Sprache nicht mächtig ist, in der das Schriftstück abgefasst ist, nach Art 8 EuZustVO berechtigt die Entgegennahme, so liegt darin zwar eine unwirksame Zustellung, diese ist aber durch Nachreichen der Übersetzung heilbar (Art 8 III EuZustVO 2007, zu Art 8 EuZustVO 2000 vgl EuGH C-443/03 – Leffler, EuZW 06, 22; zu den Grenzen der Zurückweisungsberechtigung wegen nicht übersetzter Anlagen EuGH C-14/07 – Ingenieurbüro Weiss/IHK Berlin, NJW 08, 1721). Eine Annnahmeverweigerung mit der ausschließlichen Begründung, nichts mit dem Verfahren zu tun zu haben, ist nach BGH NJW 11, 3103, 3104 [BGH 03.08.2011 - XII ZB 187/10], Rz 16, auch bei fehlender Übersetzung keine iSv Art 8 EuZustVO berechtigte.

 

Rn 8

Umstritten ist, ob jenseits des Anwendungsbereichs der EuZustVO nach nationalem Recht vorgesehene, fiktive Zustellungen (etwa § 185 ZPO, ›remise au parquet‹) dem Maßstab von lit b genügen können (abl wohl ThoPu/Hüßtege Rz 15; aA; Schlosser/Hess Rz 23). Nach dem EuGH (C-292/10 – G/Cornelius de Visser, EuZW 12, 381 [EuGH 15.03.2012 - Rs. C-292/10] m Anm Bach) können sie zwar für Art 28 Abs 2 zureichen, damit soll aber lit b gerade nicht präjudiziert sein (vgl vielmehr Rz 57, 66 der Entscheidung). Richtigerweise ist bereits ungeachtet der Frage der Ordnungsgemäßheit solcher Maßnahmen nach den im Erststaat maßgeblichen Vorschriften zu beachten, dass auch die Art und Weise der Zustellung eine hinreichende Verteidigungsmöglichkeit iSv lit b eröffnen muss. Sieht man diese Voraussetzung erst bei nachfolgender tatsächlicher Mitteilung des Entscheidungsinhalts an den Beklagten als erfüllt, stellt sich die Frage nach deren Rechtzeitigkeit (HK-ZPO/Dörner Rz 19; MüKoZPO/Gottwal...

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