Zusammenfassung

 

Art. 8 Brüssel Ia-VO0 Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann auch verklagt werden:

1. wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten;
2. wenn es sich um eine Klage auf Gewährleistung oder um eine Interventionsklage handelt, vor dem Gericht des Hauptprozesses, es sei denn, dass die Klage nur erhoben worden ist, um diese Person dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen;
3. wenn es sich um eine Widerklage handelt, die auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird, vor dem Gericht, bei dem die Klage selbst anhängig ist;
4. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden und die Klage mit einer Klage wegen dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen gegen denselben Beklagten verbunden werden kann, vor dem Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die unbewegliche Sache belegen ist.

A. Allgemeines.

 

Rn 1

Die Vorschrift entspricht dem bis 2015 geltenden ex-Art 6. Ihre einzelnen Tatbestände begründen in unterschiedlichen Fällen die Zuständigkeit eines Gerichts für mehrere zusammenhängende Verfahren. Dies umfasst konnexe Streitigkeiten (Nr 1), Interventions- und Gewährleistungsklagen (Nr 2), konnexe Widerklagen (Nr 3) und Fälle der mit einer Klage aus dinglichen Rechten verbundenen vertraglichen Klagen (Nr 4). Für die Interventionsklage hat der EuGH entschieden, dass das Prinzip der Perpetuatio fori nicht durchschlägt, also eine nach Nr 2 begründete Zuständigkeit nachträglich wegfällt, wenn das Gericht seine ursprünglich angenommene Zuständigkeit für den Hauptprozess wieder aufhebt (EuGH ECLI:EU:C:2022:173 Rz 45), da es sonst zu den von Art 8 nicht gewollten Parallelverfahren bei verschiedenen Gerichten käme. Das wird man auf die anderen Zuständigkeitsgründe des Art 8 übertragen müssen.

B. Die einzelnen Tatbestände.

I. Konnexe Streitigkeiten (Nr 1).

 

Rn 2

Der in Nr 1 geforderte enge Zusammenhang ist nicht nach den Maßgaben des nationalen Rechts, sondern europäisch-autonom zu bestimmen. Er kann nach einer von der Rspr in Anlehnung an Art 30 entwickelten Formel konkretisiert werden (EuGH Slg 88, 5566 = ECLI:EU:C:1988:459; offenlassend zur Identität EuGH Slg 06, I-6535), die damit wohl eine materiell-rechtliche Unvereinbarkeit aufgrund ›derselben Sach- und Rechtslage‹ meint. Diese liegt etwa vor, wenn es um Rückforderungen aufgrund einer Überzahlung im Rahmen eines Rechtsverhältnisses geht, dessen ursprüngliches Bestehen gegenüber allen Parteien einheitlich beurteilt werden muss (EuGH C-645/11). Es reicht ferner bspw aus, wenn ein Bekl wegen eigener Handlungen und ein anderer wegen seiner Gehilfentätigkeit verklagt wird (BGH NJW-RR 10, 644 [BGH 30.11.2009 - II ZR 55/09]). Nicht ausreichend ist eine bloße Reflexwirkung, etwa wenn das eine Verfahren die Wirksamkeit eines Vertrags betrifft und diese sich auf die Bemessung eines Schadens in einem Rechtsverhältnis mit einem anderen Beklagten auswirkt (EuGH C-366/13 Rz 66). Schwierigkeiten des Merkmals ›derselben Rechtslage‹ zeigen sich etwa in Patentsachen, wo der EuGH einen solchen Zusammenhang verneint, wenn es um die gleichartige Verletzung von Parallelpatenten in verschiedenen Staaten wegen derselben Erfindung geht (EuGH Slg 06, I-6535: keine Identität der Rechtslage; krit Hess/Pfeiffer/Schlosser Rz 655 ff; anders bei Verletzung desselben nationalen Patents in verschiedenen Mitgliedstaaten EuGH C-616/10 oder beim Gemeinschaftsgeschmacksmuster EuGH C-24/16). Demgegenüber hat er allerdings auch betont, dass die Klagen als solche nicht auf derselben Rechtsgrundlage beruhen müssen (EuGH Slg 07, I-8319; C-145/10). Deshalb kann es der Anwendung von Art 8 Nr 1 nicht entgegenstehen, wenn sich die Klage bei Urheberrechtsverletzungen auf unterschiedliche nationale Rechtsvorschriften stützt, sofern widersprechende Entscheidungen drohen, zumal wenn die nationalen Vorschriften in Grundzügen übereinstimmen (EuGH C-145/10). Werden allerdings die gegen verschiedene Parteien gerichteten Klagen in einem Fall vertraglich, im anderen deliktisch begründet, so liegt der erforderliche Zusammenhang nicht vor (EuGH Slg 98, I-6511 Rz 50).

 

Rn 3

Die Zuständigkeit gegen den ›Ankerbeklagten‹ muss auf dessen Wohnsitz beruhen; eine andere Zuständigkeit scheidet als Grundlage für Art 8 Nr 1 aus, selbst bei einem untrennbaren Zusammenhang zwischen den Klagen (EuGH Slg 98, I-6511; Slg 08, I-3965; BGH NJW 15, 2429 [BGH 24.02.2015 - VI ZR 279/14] Rz 14). Auf die Zulässigkeit der Klage nach dem nationalen Prozessrecht kommt es nicht an; auch wenn die Klage gegen die im Forumstaat wohnende Partei unzulässig ist, entfaltet sie die in Nr 1 vorgesehene Ankerwirkung. Nichts anderes gilt, wenn die Klage gegen den Ankerbeklagten zurückgenommen wurde (EuGH C-352/13). Allerdings darf di...

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