Gesetzestext

 

(1) Für Entscheidungen über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig,

a)

in dessen Hoheitsgebiet

  • beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder
  • die Ehegatten zuletzt beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder
  • der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder
  • im Fall eines gemeinsamen Antrags einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder
  • der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat, oder
  • der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens sechs Monaten unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat und entweder Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaats ist oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, dort sein ›domicile‹ hat;
b) dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten besitzen, oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, in dem sie ihr gemeinsames ›domicile‹ haben.

(2) Der Begriff ›domicile‹ im Sinne dieser Verordnung bestimmt sich nach dem Recht des Vereinigten Königreichs und Irlands.

A. Überblick über die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen.

 

Rn 1

Die Art 3–7 benennen die Umstände, aus denen sich die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Ehesachen ergeben kann.

B. Regelungsgehalt.

I. Grundzüge.

 

Rn 2

Art 3 sieht sieben alternative Gerichtsstände vor, die in den sechs Spiegelstrichen von lit a) mit dem gewöhnlichen Aufenthalt der beteiligten Eheleute zusammenhängen und nur in einer Alternative (lit b) mit der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Beteiligten. Art 3 verdrängt in seinem Anwendungsbereich § 98 FamFG, regelt aber nur die internationale Zuständigkeit, nicht die örtliche (hierfür fehlte der EU auch die Gesetzgebungskompetenz). Für die örtliche Zuständigkeit gilt also allein das nationale Recht (§ 122 FamFG). Maßgebend für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der Antragstellung – es greifen die Grundsätze der perpetuatio fori. Eine etwaige Verbundzuständigkeit ergibt sich nach allg M aus § 98 III FamFG (Staudinger/Spellenberg, § 98 FamFG Rz 280; vgl auch Sternal/Dimmler § 98 Rz 55 ff).

 

Rn 3

Problematisch ist, dass die sieben Gerichtsstände des Art 3 alternativ und damit allesamt gleichberechtigt nebeneinander stehen (EuGH FamRZ 19, 1989 Rz 28 = ECLI:EU:C:2019:816). Damit wird zum forum shopping geradezu eingeladen (vgl EuGH FamRZ 09, 1571, Rz 49; Völker FF 09, 443 mit Fallbeispielen; Dimmler FamRB 16, 43): Der schnellere (Art 19 führt aufgrund des dort verankerten Prioritätsprinzips zu einem Wettlauf) und damit meist der besser anwaltlich beratene Ehegatte kann sich mitunter über die Wahl des zuständigen Gerichts den Zugang zu dem ihm günstigeren materiellen Recht verschaffen, sofern diejenigen angerufenen Gerichte des EU-Mitgliedstaats infolge der Nichtgeltung bindender Regelungen ihr eigenes Internationales Privatrecht anwenden. Trotz Geltung der Rom III-Verordnung (dazu Art 1 Rn 2) innerhalb der gebundenen Mitgliedstaaten hat das forum shopping seinen Stellenwert nicht zwingend eingebüßt (eingehender Dimmler FamRB 16, 43). Hinsichtlich der nicht durch die Rom III-Verordnung gebundenen Verordnungsmitgliedstaaten fehlt es bislang an einer Harmonisierung des jeweiligen Internationalen Privatrechtes, weshalb diese tw im Ergebnis auf verschiedene Sachrechte verweisen (s zu den sich hierdurch eröffnenden taktischen Möglichkeiten Rn 13).

Ziel sollte daher möglichst eine weitere Harmonisierung der internationalen Privatrechte der Mitgliedstaaten sein, sodass es möglichst in jedem Fall zur Anwendbarkeit desselben materiellen Scheidungsrechts kommt, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der Fall vor Gericht kommt. Die Rom III-Verordnung ebenso wie das seit dem 18.6.11 geltende Haager Unterhaltsprotokoll v 23.11.07, das die Anwendung des materiellen Unterhaltsrechts am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten ermöglicht (dazu eingehend Dimmler/Bißmaier FPR 13, 11) sowie die Europäische Güterrechtsverordnung v 24.6.16 sind Schritte in die richtige Richtung.

 

Rn 4

Die Zuständigkeiten der Verordnung greifen auch dann, wenn ein Angehöriger eines Drittstaates – also ein Ausländer, der keinem Mitgliedstaat angehört – beteiligt ist oder wenn ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Nichtmitgliedstaat hat (EuGH NJW 19, 415 Rz 41; BGH FamRZ 08, 1409).

II. An den Aufenthalt anknüpfende Zuständigkeiten (Abs 1 lit a).

 

Rn 5

Abs 1 lit a hat sechs Spiegelstriche, die gleichberechtigt – und damit nicht vorrangig – neben dem Zuständigkeitsgrund des Abs 1 lit b stehen. Im Rahmen von Abs 1 lit a kommt es für den 1. – 5. Spiegelstrich nicht auf die Staatsangehörigkeit der beteiligten Eheleute oder ihr domicile (s dazu Rn 12) an.

 

Rn 6

Den in allen Spiegelstrichen in Bezug genommenen gewöhnlichen Aufenthalt definiert die Verordnung nicht. Aufgrund der gebotenen autonomen Auslegung der Verordnung ist dies – ausgehend von der Rspr des EuGH i...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge