Das Wichtigste in Kürze:

1. Im Strafbefehlsverfahren ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn der Richter erwägt, einen Strafbefehl zu erlassen, der eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bei Strafaussetzung zur Bewährung vorsieht.
2. Im beschleunigten Verfahren vor dem Amtsgericht ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten ist.
3. Bei richterlichen Vernehmungen im EV, z.B. eines zentralen Belastungszeugen, gilt § 140 Abs. 1 Nr. 10.
4. Im Verfahren über den Ausschluss des Verteidigers kommt nach § 138c Abs. 3 S. 4 ebenfalls eine Pflichtverteidigerbestellung in Betracht.
5. Wird die HV nach vorsätzlich herbeigeführter Verhandlungsunfähigkeit fortgesetzt, ist dem Angeklagten nach § 231a Abs. 4 ein Pflichtverteidiger zu bestellen.
6. Auch im Fall einer sog. Kontaktsperre muss dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden.
 

Rdn 3358

 

Literaturhinweise:

Deckers/Kuschnik, Darf trotz Abwesenheit und Unkenntnis des Angeklagten nach § 408a StPO von der Hauptverhandlung in das Strafbefehlsverfahren gewechselt werden?, StraFo 2008, 418

Jaklin, Die zeitnahe richterliche Vernehmung der Geschädigten bei Verdacht auf häusliche Gewalt, NStZ 2021, 70

s.a. die Hinw. bei → Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3305, und bei → Strafbefehlsverfahren, Teil S Rdn 4205.

 

Rdn 3359

Die StPO sieht über die in § 140 Abs. 1, der Zentralvorschrift des § 140, und die in der Generalklausel des § 140 Abs. 2 genannten Fälle hinaus in folgenden sonstigen Fällen die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vor:

 

Rdn 3360

1.a) Im → Strafbefehlsverfahren, Teil S Rdn 4204, ist dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn der Richter erwägt, einem Antrag der StA auf Erlass eines Strafbefehls mit der in § 407 Abs. 2 S. 2 genannten Rechtsfolge, also einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bei Strafaussetzung zur Bewährung, zu entsprechen. Wenn es sich bei dem Beschuldigten um einen Heranwachsenden handelt, kommt die Festsetzung einer Freiheitsstrafe im Strafbefehlswege dagegen nicht in Betracht (§ 109 Abs. 3 JGG).

 

Rdn 3361

b) Für das Bestellungsverfahren und die Auswahl des Pflichtverteidigers (→ Pflichtverteidiger, Verfahren der Beiordnung, Teil P Rdn 3637; → Pflichtverteidiger, Auswahl des Verteidigers, Teil P Rdn 3313) gelten die allgemeinen Regelungen des § 142. Den früheren § 408b S. 2, der lediglich auf § 141 Abs. 3 a.F., verwies, nicht aber auf die übrigen Vorschriften zum Beiordnungsverfahren, hat der Reformgesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128) gestrichen. Diese Streichung führt zur vollen Anwendbarkeit der §§ 141 f. (BT-Drucks 19/13829, S. 52).

 

☆ Dies hat insbesondere zur Folge, dass dem Beschuldigten auch im Strafbefehlsverfahren Gelegenheit gegeben werden muss, selbst einen Verteidiger zu benennen . Die früher vertretene Auffassung, wonach aufgrund des Fehlens einer entsprechenden Verweisung § 142 nicht zur Anwendung komme (zur früheren Rechtslage vgl. Lutz , NStZ 1998, 395 f.), ist aufgrund der Neuregelung überholt. Dem Beschuldigten muss daher auch im Zusammenhang mit dem Erlass eines Strafbefehls, der eine Freiheitsstrafe als Rechtsfolge vorsieht, die Möglichkeit zur Beratung durch den Verteidiger seines Vertrauens gewährleistet werden (BT-Drucks 19/13829, S. 52).benennen. Die früher vertretene Auffassung, wonach aufgrund des Fehlens einer entsprechenden Verweisung § 142 nicht zur Anwendung komme (zur früheren Rechtslage vgl. Lutz, NStZ 1998, 395 f.), ist aufgrund der Neuregelung überholt. Dem Beschuldigten muss daher auch im Zusammenhang mit dem Erlass eines Strafbefehls, der eine Freiheitsstrafe als Rechtsfolge vorsieht, die Möglichkeit zur Beratung durch den Verteidiger seines Vertrauens gewährleistet werden (BT-Drucks 19/13829, S. 52).

 

Rdn 3362

c)aa) Auch hinsichtlich der früheren Streitfrage, wie lange der nach § 408b bestellte Verteidiger im Verfahren bleibt, hat die Reform 2019 Änderungen erbracht. Es gilt nunmehr insoweit die allgemeine Regelung des § 143 Abs. 1 und Abs. 2. Dies bedeutet für den Fall des antragsgemäßen Erlasses des Strafbefehls, dass die Beiordnung endet, wenn dieser vom Beschuldigten akzeptiert wird und in Rechtskraft erwächst (BT-Drucks 19/13829, S. 52).

 

Rdn 3363

bb) Legt der Beschuldigte dagegen Einspruch ein und kommt es zur Hauptverhandlung, gilt Folgendes: Ist die Verhängung einer Freiheitsstrafe von (mindestens) einem Jahr zu erwarten, dauert die Bestellung fort, es ist dann die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 2 aufgrund der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge (→ Pflichtverteidiger, Beiordnung wegen Schwere der Tat/Rechtsfolge, Teil P Rdn 3465) notwendig. Ist hingegen eine darunter liegende Freiheitsstrafe zu erwarten, so kann die Bestellung nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts aufgehoben werden, da die Entscheidung nicht mehr im schriftlichen Verfahren ergeht; allerdings sind...

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