Entscheidungsstichwort (Thema)

AKB, § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG: Entfernen vom Unfallort, Kausalitätsgegenbeweis bei Obliegenheit

 

Leitsatz (amtlich)

Im Einzelfall kann feststehen, dass ein Entfernen vom Unfallort weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang des Leistungspflicht ursächlich ist. (Hier Kausalitätsgegenbeweis vom VN geführt; Arglist vom Versicherer nicht bewiesen.)

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 6 O 283/15)

 

Gründe

I. Der Senat weist darauf hin, dass er einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung nur in geringem Umfang - nämlich hinsichtlich eines Teils der von der Klägerin geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten - begründet sein dürfte, im Übrigen aber offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.

1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht der Klage hinsichtlich der Hauptforderung wegen eines Betrages von 4.750,66 EUR stattgegeben.

Die Berufungsangriffe der Beklagten, wegen deren Einzelheiten auf die Berufungsbegründung (GA 252 ff.) verwiesen wird, greifen nicht durch.

a) Zunächst begegnet die Ansicht des Landgerichts keinen Bedenken, dass in zweierlei Hinsicht eine Obliegenheitsverletzung des Rechtsvorgängers der Klägerin vorliegt.

aa) Eine solche liegt zum Einen darin, dass der Rechtsvorgänger der Klägerin sich vom Unfallort entfernt und dadurch gegen die Klausel E.1.6 der hier maßgeblichen AKB 2008 verstoßen hat. Danach darf der Versicherungsnehmer den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.

Es kann hier dahinstehen, ob die genannte Klausel eine über die Pflicht aus § 142 StGB hinausgehende Pflicht statuiert oder - wofür viel sprechen dürfte - aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers nur die sich aus § 142 StGB ergebenden strafrechtlichen Pflichten als Obliegenheit in das versicherungsrechtliche Vertragsverhältnis übernimmt (vgl. dazu Senat, Urteil vom 15.04.2016 - 20 U 240/15, VersR 2016, 1365; ferner OLG Saarbrücken, Urteil vom 10.02.2016 - 5 U 75/14, VersR 2016, 1368).

Denn auch unter Zugrundelegung der letztgenannten Auffassung liegt in objektiver Hinsicht eine Obliegenheitsverletzung selbst nach dem eigenen Vortrag der Klägerin jedenfalls vor.

Sie behauptet, ihr Rechtsvorgänger habe eine halbe Stunde am Unfallort gewartet, bevor er sich entfernt habe. Damit hat er aber seiner Wartepflicht aus § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht genügt. Wie weit diese Wartepflicht reicht, ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Vorliegend ereignete sich der Unfall etwa zur Mittagszeit, und er war nach dem eigenen Vorbringen des Klägers von einer Nachbarin beobachtet worden. Nach alledem war mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen durchaus zu rechnen. Angesichts dessen genügte es nicht, lediglich eine halbe Stunde zuzuwarten, was unter anderen Umständen - etwa bei einem nächtlichen Unfall - im Einzelfall anders sein mag.

Deshalb ist gegen den Rechtsvorgänger zu Recht ein Strafbefehl wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort ergangen, und mithin liegt in objektiver Hinsicht jedenfalls eine Obliegenheitsverletzung vor.

bb) Zu Recht hat das Landgericht des Weiteren ausgeführt, dass ein Verstoß gegen die Regelung E.1.6 AKB 2008 zudem darin liegt, dass der Rechtsvorgänger der Klägerin die Schadensanzeige unvollständig ausgefüllt hat. Die Nichtbeantwortung einzelner Fragen in einem Schadensberichtsvordruck stellt eine Obliegenheitsverletzung dar (vgl. Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, AKB 2008 E.1 Rn. 30 m.N.).

b) Zu Recht ist das Landgericht indes davon ausgegangen, dass keine der beiden Obliegenheitsverletzungen gemäß E.8.1 AKB 2008 zur Leistungsfreiheit geführt hat.

aa) Zwar hat der Rechtsvorgänger der Klägerin beide Obliegenheitsverletzungen vorsätzlich begangen, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat.

bb) Die Leistungsfreiheit der Beklagten entfällt jedoch wegen der Regelung in E.8.2 S. 1 AKB 2008.

Danach ist der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit der Versicherungsnehmer nachweist, dass die Pflichtverletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich war.

Zutreffend weist die Berufung darauf hin, dass dieser Kausalitätsgegenbeweis bei der Verletzung von Anzeige- und Aufklärungspflichten erst dann erbracht ist, wenn sicher ist, dass dem Versicherer auch keine Feststellungsnachteile erwachsen sind. Bleibt dies unklar und in der Schwebe, ist der Versicherungsnehmer beweisfällig (OLG Naumburg, Urteil vom 21.06,2012 - 4 U 85/11, VersR 2013, 178, Rn. 28).

Allerdings schadet nicht schon eine generelle Gefährdung der Interessen des Versicherers, sondern es ist auf die konkrete Kausalität abzustellen. Entscheidend ist, ob der Versicherungsnehmer den Nachweis erbringt, dass die Feststellung im Ergebnis keinesfalls anders (also für den Versicherer günstiger) ausgefallen wäre.

Danach gilt hier Folgend...

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