Nachtrunk kann Kfz-Versicherung kosten

Nimmt ein Fahrzeuglenker nach einem Verkehrsunfall größere Alkoholmengen zu sich (Nachtrunk), so kann darin eine Obliegenheitsverletzung gegenüber der Fahrzeugversicherung liegen, die zur Befreiung von der Leistungspflicht führt.

Das OLG Braunschweig hatte sich in einem Berufungsverfahren mit dem Einfluss eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort mit anschließendem Nachtrunk auf die Leistungsverpflichtung einer Vollkaskoversicherung zu befassen.

Fahrer entfernte sich unerlaubt vom Unfallort

Der Versicherungsnehmer hatte mit seinem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von ca. 20 km/h eine Straßenlaterne gerammt. Statt an der Unfallstelle auf die Polizei zu warten, begab der Fahrer sich zum nahe gelegenen Haus seiner Eltern und beichtete diesen den Vorfall. Die Eltern begaben sich darauf zum Unfallort und empfingen dort die kurz darauf eintreffenden Polizeibeamten.

Versicherungsnehmer behauptet Nachtrunk

Eine ca. 1,5 Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration des Unfallfahrers in Höhe von 2,79 Promille. Der Fahrer behauptete gegenüber der Polizei, nach dem Unfall eine ganze Flasche Wodka (0,7 l) zu sich genommen und sich anschließend schlafen gelegt zu haben.

Versicherung hält Nachtrunk für Schutzbehauptung

Die seitens des Unfallfahrers in Anspruch genommene Kfz-Versicherung verweigerte sowohl den Ersatz des an dem Fahrzeug entstandenen Schadens als auch die Erstattung der Instandsetzungskosten der Laterne. Die Versicherung vertrat den Standpunkt, der behauptete Nachtrunk sei wenig plausibel und lediglich eine Schutzbehauptung. Der Versicherungsnehmer habe den Verkehrsunfall grob fahrlässig herbeigeführt, indem er sich unter erheblichem Alkoholeinfluss ans Steuer gesetzt habe.

LG lehnt Leistungspflicht der Versicherung ab

Die hierauf vom Fahrzeughalter erhobene Klage gegen die Versicherung hatte erstinstanzlich keinen Erfolg. Das LG teilte die Argumentation der Versicherung und ging von einer Trunkenheitsfahrt des Klägers aus, die zu dem Unfallereignis geführt habe. Nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen bestehe aufgrund des grob fahrlässigen Verhaltens des Klägers daher kein Versicherungsschutz.

Sachverständiger konnte Nachtrunkbehauptung nicht entkräften

Der Kläger legte gegen das klageabweisende Urteil Berufung ein und verwies auf die erstinstanzlich eingeholte gutachterliche Stellungnahme. In seinem Gutachten hatte der gerichtlich beauftragte Sachverständige nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen können, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls noch keinen Alkohol zu sich genommen hatte.

OLG stellt auf Obliegenheitsverletzung ab

Die Feststellungen des Sachverständigen hielt der zweitinstanzlich zuständige 11. Senat des OLG Braunschweig für nicht maßgeblich. Entscheidend für den Versicherungsschutz ist nach Auffassung des Senats nicht allein die Frage der Trunkenheit zum Unfallzeitpunkt. Der Versicherungsschutz könne auch entfallen, wenn der Versicherungsnehmer seine versicherungsrechtlichen Obliegenheiten gegenüber der Versicherung in erheblichem Umfang verletzt habe.

Versicherung muss umfassend informiert werden

Zu den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers gehört nach Auffassung des Gerichts, dass der Versicherungsnehmer alles tun muss, um den Versicherer in die Lage zu versetzen, sämtliche mit dem Schadensereignis zusammenhängenden Tatsachen zu überprüfen. Dies beinhalte nicht nur die Pflicht zur Erteilung sämtlicher unfallrelevanten Auskünfte gegenüber der Versicherung, sondern auch die Pflicht zu einem sachgerechten Verhalten nach dem Unfallereignis am Unfallort. Nur so habe der Versicherer die Möglichkeit, seine Eintrittspflicht bzw. Leistungsfreiheit sachgerecht zu beurteilen.

Kläger hat Aufklärung des Unfallhergangs vereitelt

Durch den vom Kläger behaupteten Nachtrunk hat dieser nach Auffassung des OLG die Prüfungsmöglichkeiten der Versicherung wesentlich erschwert. Hätte er am Unfallort auf die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten gewartet, so wäre mit einer routinemäßigen Bestimmung der Blutalkoholkonzentration zum Unfallzeitpunkt zu rechnen gewesen. Diese wichtige Aufklärung zum Unfallhergang habe der Kläger wissentlich vereitelt.

Berufung zurückgenommen

Nachdem das OLG den Kläger in einem ausführlichen Hinweis auf diese Rechtslage hingewiesen hat, hat dieser seine Berufung gegen das landgerichtliche Urteil zurückgenommen, das damit rechtskräftig geworden ist.

(LG Braunschweig, Urteil v. 7.5.2020, 7 O 599/17)

Hintergrund:

Nach den von den Kfz-Versicherungen verwendeten Allgemeine Versicherungsbedingungen für Kraftfahrzeuge (AKB) treffen den Versicherungsnehmer im Versicherungsfall bestimmte Obliegenheiten. Gemäß § 7 AKB sind Versicherungsnehmer unter anderem verpflichtet, einen Versicherungsfall umgehend zu melden und die Versicherung so zu informieren, dass diese in die Lage versetzt wird, ihre Eintrittspflicht zu beurteilen. Verletzungen der Obliegenheitspflichten können zu einem teilweisen oder vollständigen Wegfall des Versicherungsschutzes führen.

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort als Obliegenheitsverletzung

Eine Obliegenheitsverletzung gegenüber der Kaskoversicherung kann nach einer Entscheidung des OLG Koblenz nicht nur in einem Nachtrunk, sondern - zumindest bei einem Unfall mit Fremdbeteiligung - auch bereits in einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort zu sehen sein. Das OLG hatte im entschiedenen Fall dem Versicherungsnehmer einen Anspruch gegen die Vollkaskoversicherung auf Ersatz eines Fahrzeugschadens in Höhe von 22.000 Euro mit dieser Begründung verweigert (OLG Koblenz, Beschluss v. 11.12.2020, 12 U 235/20).

Nachtrunk in Verschleierungsabsicht führt zur Leistungsfreiheit der Versicherung

In einem früheren Urteil hatte der BGH entschieden, dass ein Versicherungsnehmer gegenüber seiner Versicherung nicht ohne weiteres verpflichtet sei, sich nach einem Verkehrsunfall ohne Drittbeteiligung für die Feststellung seines Blutalkoholgehalts bereitzuhalten. Die Versicherung könne allerdings von der Leistungspflicht befreit sein, wenn der Versicherungsnehmer einen Nachtrunk in Erwartung eines polizeilichen Einsatzes zu sich nimmt, um dadurch den Sachverhalt zu verschleiern (BGH Urteil v. 12.11.1975, IV ZR 5/74). Für die Tatsache, dass der Nachtrunk in Verschleierungsabsicht erfolgte, ist nach einem Urteil des OLG Karlsruhe die Versicherung beweispflichtig (OLG Karlsruhe, Urteil v. 5.6.2008, 12 U 13/08).

Schlagworte zum Thema:  Kfz-Versicherung, Verkehrsunfall, Fahrerflucht