Entscheidungsstichwort (Thema)

Kraftfahrzeugversicherung, AKB E 1.3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es spricht viel dafür, dass die Obliegenheit aus AKB 2008 E 1.3 (in der im Streitfall vereinbarten Fassung) hinsichtlich des Entfernens vom Unfallort nicht über die Pflicht aus § 142 StGB hinausgeht (streitig).

2. Insbesondere spricht viel dafür, dass diese Obliegenheit am Unfallort nur ein (passives) Warten gebietet und nicht ein (aktives) Benachrichtigen des Geschädigten oder der Polizei; denn die Klausel verlangt nur, die erforderlichen Feststellungen "zu ermöglichen".

3. Die Grenzen der Pflicht aus § 142 StGB sind jedenfalls bei der Prüfung des Verschuldens einer Obliegenheitsverletzung aus AKB 2008 E 1.3 zu berücksichtigen:

Im Streitfall Leistungsfreiheit des Versicherers verneint, weil

  • kein im Sinne des § 142 StGB relevanter Fremdschaden festzustellen war,
  • hinsichtlich des Entfernens vom Unfallort daher jedenfalls Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit einer Obliegenheitsverletzung nicht festzustellen waren und
  • der Versicherte nach Beendigung der Fahrt sogleich den Versicherer informierte.
 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Urteil vom 22.10.2015)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.10.2015 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Bielefeld abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin, 9.592,93 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 16.9.2014 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt aus einer bei der Beklagten genommenen Vollkaskoversicherung Zahlung von 9.592,93 Euro nebst Zinsen.

Eigentümer und - auch wirtschaftlicher - Halter des versicherten Fahrzeugs, eines Porsche 911 Carrera S Cabrio, war der Ehemann der Klägerin. Dieser geriet mit dem versicherten Fahrzeug am 19.8.2014 gegen 9.30 Uhr auf einer Bundesautobahn bei Aquaplaning ins Schleudern. Das Fahrzeug streifte die Leitplanke. Der Ehemann der Klägerin stieg aus, besah sich die Leitplanke und verließ dann nach kurzer Zeit mit dem beschädigten Fahrzeug die Unfallstelle. Er fuhr in sein Büro und benachrichtigte dort gegen 11.00 Uhr telefonisch die Beklagte. Nachfragen oder Weisungen zu aktuellen Feststellungen wurden ihm dabei nicht erteilt.

Nach dem von der Beklagten eingeholten Gutachten wurde die rechte Seite des Fahrzeugs "druckbeaufschlagt und angeschrammt". Die notwendigen Reparaturkosten betrugen danach netto 10.266,43 Euro.

Die Beklagte lehnte Leistungen ab und machte geltend, der Ehemann der Klägerin habe vorsätzlich gegen die Obliegenheit aus E. 1.3 Abs. 1 und 2 der vereinbarten AKB verstoßen. Dort heißt es:

"Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann. Dies bedeutet insbesondere, dass Sie unsere Fragen zu den Umständen des Schadenereignisses wahrheitsgemäß und vollständig beantworten müssen und den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.

Unter erforderlichen Feststellungen ist die Aufnahme der erforderlichen Daten zum Schadenereignis je nach Umfang des Schadens (Unfallbericht, Name und Anschrift der Unfallbeteiligten und Zeugen, Fotoaufnahmen, Verständigung der Polizei und ähnliches) zu verstehen."

Die Klägerin hat behauptet, ein Schaden an der Leitplanke sei nicht zu sehen gewesen.

Das LG hat die Klage nach Vernehmung des Ehemanns der Klägerin als Zeugen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Ehemann der Klägerin habe die vereinbarte Aufklärungsobliegenheit verletzt. Auf das Vorliegen eines mehr als belanglosen Fremdschadens im Sinne des § 142 StGB komme es nicht an. Die Obliegenheit aus E. 1.3 gehe weiter als die Pflichten aus § 142 StGB. Der Ehemann der Klägerin habe die Obliegenheit auch vorsätzlich verletzt. Diese entspreche dem Schutzzweck des § 142 StGB; der Ehemann der Klägerin habe daher Kenntnis der Verhaltensnorm gehabt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, der Anträge und der weiteren Begründung des LG wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Sie macht geltend, die Beklagte sei nicht leistungsfrei geworden, zumal mit einem Erscheinen feststellungsbereiter Personen am Unfallort nicht zu rechnen gewesen sei und der Beklagten durch den Anruf gegen 11:00 Uhr alsbald Feststellungen ermöglicht worden seien.

Die Klägerin beantragt, abändernd die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.592,93 EURO nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 16.9.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und meint im Übrigen, die Berufungsbegründung genüge schon nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien in dieser Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II. Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

1. Die Klägeri...

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