Leitsatz (amtlich)

1.In einem anhängigen Verfahren muss die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Verfahrensbevollmächtigten erfolgen.

2.Eine "Bestellung" in diesem Sinne liegt auch bei einer Bestellungsanzeige durch den Gegner vor und ist vom Gericht zu beachten.

 

Normenkette

ZPO § 172

 

Verfahrensgang

AG Gelsenkirchen (Aktenzeichen 107 FH 15/22)

 

Tenor

1. Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gelsenkirchen vom 26.04.2023 auf die Beschwerde des Antragsgegners hin aufzuheben und die Sache zur weiteren Durchführung des Verfahrens an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

2. Die Vollstreckung aus dem vorbezeichneten Beschluss wird einstweilen ohne Sicherheitsleistung eingestellt.

3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu binnen 3 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Innerhalb dieser Frist besteht für den Antragsgegner zudem Gelegenheit, im Hinblick auf sein Verfahrenskostenhilfegesuch eine vollständige und ordnungsgemäße Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nebst geeigneter Belege einzureichen.

 

Gründe

I. Mit Antrag vom 20.12.2022 beantragte das Landesamt (...) die Festsetzung der Unterhaltsverpflichtung des Antragsgegners für die minderjährigen Kinder N. F. (geb. am 00.00.2018) und Y. F. (geb. 00.00.2019) im vereinfachten Verfahren, und zwar jeweils in Höhe von 100 % des Mindestunterhaltes für die Zeit ab dem 01.06.2021. In dem Schriftsatz, als dessen Anlage diese Anträge übermittelt wurden, wird darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner bislang durch die Rechtsanwälte K. und D. aus Z. vertreten worden sei.

Mit Verfügung vom 03.02.2023 hat das Amtsgericht die Zustellung des Antrags veranlasst, und zwar an den Antragsgegner persönlich. Dabei hat es den Antragsgegner darauf hingewiesen, in welcher Höhe laufender und rückständiger Unterhalt festgesetzt werden kann. Ebenso ist darauf hingewiesen worden, innerhalb welcher Fristen welche Einwendungen vorgebracht werden können (GA 21 ff.). Diese Verfügung ist dem Antragsgegner unter dem 08.02.2023 durch Einlegung in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt worden (GA 23).

Einwendungen hat der Antragsgegner nicht vorgebracht.

Daraufhin hat das Amtsgericht durch den angegriffenen Unterhaltsfestsetzungsbeschluss vom 26.04.2023 den Antragsgegner verpflichtet, für beide Kinder ab dem 01.01.2023 laufenden Unterhalt in Höhe von 100 % des Mindestunterhaltes sowie an Rückständen für die Zeit vom 01.06.2021 bis zum 31.12.2022 jeweils 3.342,- EUR zu zahlen.

Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 19.05.2023 bei Gericht eingegangenen Beschwerde. Diese ist im Wesentlichen darauf gestützt, dass kein Erfordernis zur Geltendmachung der Unterhaltsansprüche im vereinfachten Verfahren bestanden habe, weil sich der Antragsgegner und die Antragstellerin noch in Verhandlungen über die geltend gemachten Unterhaltsansprüche befunden hätten. Wegen der Einzelheiten wird verwiesen auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 19.05.2023 (GA 52 ff.).

II. Auf die Beschwerde hin wird der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen sein (unten 1). Deshalb ist die Vollstreckung aus diesem Beschluss einzustellen (unten 2). Über den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe kann der Senat derzeit noch nicht entscheiden (unten 3).

1. Auf die Beschwerde hin wird der angefochtene Beschluss aufzuheben sein.

a) Die Beschwerde ist gemäß §§ 256, 58 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 RPflG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 63 Abs. 1 FamFG eingelegt.

b) Sie wird auch in der Sache Erfolg haben.

Der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts ist aufzuheben, weil er an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet.

Gemäß § 251 Abs. 1 S. 1 FamFG ist der Festsetzungsantrag dem Antragsgegner zuzustellen. Erfolgt diese Zustellung nicht oder fehlerhaft, liegt darin ein Verfahrensmangel, der auf die Beschwerde hin zur Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses führt (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 15.09.2020 - 2 WF 86/20, FamRZ 2021, 1138; OLG Bamberg, Beschluss vom 20.12.2016 - 2 WF 254/16, FamRZ 2017, 818).

So liegt es hier.

Die Zustellung des Festsetzungsantrages an den Antragsgegner persönlich war nicht wirksam.

Für die Zustellung gelten gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG die §§ 166 ff. ZPO (Sternal/Giers, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 251 Rn. 3). Insbesondere ist deshalb auch die Vorschrift des § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO zu beachten, wonach in einem anhängigen Verfahren die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Verfahrensbevollmächtigten zu erfolgen hat. Eine "Bestellung" in diesem Sinne liegt auch bei einer Bestellungsanzeige durch den Gegner vor und ist vom Gericht zu beachten (BGH, Urteil vom 06.04.2011 - VIII ZR 22/10, NJW-RR 2011, 997).

Vorliegend hatte das antragstellende Landesamt (...) bereits bei Einleitung des Verfahrens im Schriftsatz vom 20.12.2022 auf die Vertretung des Antragsgegners durch seine...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge