Leitsatz (amtlich)

1) Eine inhaltlich unrichtige Rechtsmittelbelehrung löst gegenüber einem Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigten keinen Vertrauensschutz aus, wenn die Belehrung offensichtlich falsch ist.

2) Offensichtlich unrichtig in diesem Sinne ist der Hinweis in einer nach dem Verfahrensrecht des FamFG ergangenen Entscheidung, die Beschwerde könne auch bei dem OLG eingelegt werden.

 

Normenkette

FamFG §§ 17, 39, 64

 

Verfahrensgang

AG Hamm (Aktenzeichen 2 VI 573/12)

 

Tenor

Die Gegenvorstellung wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Die Gegenvorstellung ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - in der Sache unbegründet.

Der Senat war nicht gehalten, der anwaltlich vertretenen Beteiligten gem. § 18 Abs. 3 S. 3 FamFG ohne einen dahingehenden Antrag hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Entgegen der Ansicht der Beteiligten war ein hinreichender Wiedereinsetzungsgrund nicht aktenkundig.

Zutreffend ist allerdings, dass die in dem angefochtenen Beschluss des AG vom 30.11.2012 erteilte Rechtsmittelbelehrung, die ergänzend auf die Möglichkeit der Einlegung des Rechtsmittels bei dem OLG hinwies, insoweit unrichtig war. Hierauf ist der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten bereits durch das Schreiben des Vorsitzenden des Senats 10.1.2013 hingewiesen worden. Allein die fehlerhafte amtsgerichtliche Rechtsmittelbelehrung stellte entgegen der Ansicht der Beteiligten aber noch keinen ausreichenden Wiedereinsetzungsgrund dar.

Zwar wird im Falle einer unterbliebenen oder fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung ein Fehlen des Verschuldens an der Fristüberschreitung gem. § 17 Abs. 2 FamFG vermutet. Diese Vorschrift dient aber in erster Linie dem Schutz des rechtsunkundigen Beteiligten, während bei anwaltlich vertretenen Beteiligten ein geringeres Schutzbedürfnis besteht (BGH FamRZ 2010, 1425; BGH FamRZ 2012, 367; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 3.1.2013 - 6 WF 182/12, zitiert nach juris, Rz. 8). Außerdem hebt § 17 Abs. 2 FamFG das Erfordernis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumnis nicht auf (Keidel/Sternal, FamFG, 17. Aufl., § 17 Rz. 37; OLG Hamm, Beschl. v. 17.1.2011 - 8 UF 249/10, zitiert nach juris, Rz. 8; OLG Karlsruhe FamRZ 2010, 2011). Vor diesem Hintergrund ist es in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass es in der Regel an der Ursächlichkeit zwischen dem Fehlen oder der Unvollständigkeit einer Rechtsmittelbelehrung und der Fristversäumnis fehlt und dementsprechend eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht kommt, wenn der Beteiligte anwaltlich vertreten ist, da von einem Rechtsanwalt erwartet werden kann, dass er selbst die Voraussetzungen für die Einlegung eines Rechtsmittels kennt (BGH FamRZ 2010, 1425; BGH FamRZ 2012, 367; BGH FamRZ 2012, 1287; BGH, Beschl. v. 27.2.2013 - XII ZB 6/13, zitiert nach juris, Rz. 7).

Auch wenn diese Rechtsprechung nicht uneingeschränkt auf den - hier vorliegenden - Fall einer inhaltlich unrichtigen Rechtsmittelbelehrung übertragen werden kann, muss von einem Rechtsanwalt gleichwohl erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt; dementsprechend kann ein Rechtsanwalt das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat; auch in den Fällen einer inhaltlich unrichtigen Rechtsmittelbelehrung kann es jedenfalls dann an der Ursächlichkeit zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumnis fehlen, wenn die durch das Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung offenkundig falsch war (BGH FamRZ 2012, 1287; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 3.1.2013 - 6 WF 182/12, zitiert nach juris, Rz. 8; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 7.11.2012 - 6 UF 390/12, zitiert nach juris, Rz. 10; vgl. auch OLG Hamm FamRZ 2011, 233, OLG Karlsruhe FamRZ 2010, 2011, OLG Frankfurt NJW 2012, 3250 und OLG Brandenburg, Beschl. v. 7.9.2011 - 9 WF 239/11, zitiert nach juris).

Im vorliegenden Fall war die amtsgerichtliche Rechtsbehelfsbelehrung offensichtlich falsch, so dass der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten hierauf nicht vertrauen durfte. Bereits die Bezeichnung des statthaften Rechtsbehelfs als "sofortige" Beschwerde war fehlerhaft. Der Hinweis, dass das Rechtsmittel auch bei dem OLG Hamm als Beschwerdegericht eingelegt werden könne, widersprach offensichtlich § 64 Abs. 1 FamFG. Da das vorliegende, mit dem Erbscheinsantrag vom 30.7.2012 eingeleitete Verfahren unzweifelhaft dem bereits am 1.9.2009 in Kraft getretenen FamFG unterfiel, dieses im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses (30.11.2012) schon mehr als drei Jahre in Kraft war und auch keine ungewöhnliche verfahrensrechtliche Situation vorlag, hätte sich dem Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten die Unrichtigkeit der vom AG erte...

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