Leitsatz (amtlich)

1. Bevor die verweigerte Zustimmung eines sorgeberechtigten Elternteils zur psychologischen Begutachtung eines Kindes gem. § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung ersetzt wird, ist zu prüfen, ob der Sachverständige auch ohne eingehende Exploration des Kindes eine ausreichende Datengrundlage gewinnen kann, um zu der Frage, ob eine Kindeswohlgefährdung zu bejahen ist, aus psychologischer Sicht Stellung nehmen zu können (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 17.02.2010 - XII ZB 68/09 -, FamRZ 2010, 720).

2. Das Familiengericht ist in diesem Zusammenhang insbesondere befugt, auch gegen den Willen des sorgeberechtigten Elternteils das Kind in Anwesenheit und unter Mitwirkung des Sachverständigen gerichtlich anzuhören.

3. Eine solche Vorgehensweise ist unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten als gegenüber der Ersetzung der Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils gem. § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB milderes Mittel geboten.

 

Verfahrensgang

AG Essen-Borbeck (Aktenzeichen 11 F 108/20)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird der am 31.07.2020 erlassene Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Essen-Borbeck (Az. 11 F 108/20) aufgehoben.

2. Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Eine Erstattung der außergerichtlichen Auslagen wird nicht angeordnet.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.500,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten im Hauptsacheverfahren Amtsgericht - Familiengericht - Essen-Borbeck, Az. 11 F 82/18, um die elterliche Sorge für die betroffenen Kinder, für die der Kindesvater die alleinige elterliche Sorge ausübt, seitdem die Kindesmutter am 00.08.2016 verstorben ist. Seit ihrer Inobhutnahme vom 00.10.2017 sind die Kinder fremduntergebracht. Das Jugendamt stellte am 21.12.2017 einen Antrag auf Entzug der elterlichen Sorge, woraufhin das Familiengericht das vorgenannte Hauptsacheverfahren einleitete und ein Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Psych. L einholte.

Die Sachverständige erläuterte ihr schriftliches Gutachten vom 17.07.2018 im Anhörungstermin vom 07.05.2019 mündlich. Der Kindesvater lehnte die Sachverständige daraufhin wegen Befangenheit ab. Das Familiengericht wies das Ablehnungsgesuch des Kindesvaters mit Beschluss vom 19.06.2019 zurück. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Kindesvaters ist vor dem Senat (Beschluss vom 26.05.2020, Az. 2 WF 162/19) erfolglos geblieben.

Mit Beschluss vom 16.06.2020 hat das Familiengericht daraufhin die Sachverständige L beauftragt, ihr Gutachten vom 17.07.2018 zu ergänzen und insbesondere dazu Stellung zu nehmen, ob aufgrund des Zeitablaufes eine andere Beurteilung der gerichtlichen Fragestellung vorzunehmen sei. Zugleich hat das Familiengericht Anhörungstermin für den 06.10.2020 anberaumt, zu dem es u. a. auch die Sachverständige L zur mündlichen Erläuterung geladen und dem Jugendamt aufgegeben hat, kurzfristig die Aufenthaltsorte der Kinder mitzuteilen, damit Termine für die Kindesanhörungen anberaumt werden können.

Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 24.06.2020 teilte der Kindesvater mit, als Sorgerechtsinhaber für die Kinder B, C, D, H und A eine weiteren Begutachtung durch die Sachverständige L zu verweigern. Auch er werde mit der Sachverständigen nicht mehr zusammenarbeiten. Mit der Begutachtung durch eine(n) andere(n) Sachverständige(n) sei er hingegen einverstanden. Der Kindesvater begründet seine Ablehnung der Sachverständigen L im Wesentlichen mit Mängeln der bisherigen Begutachtung. Die Sachverständige habe ihr Gutachten auf falsche und nicht belegte Tatsachen gestützt. Ferner sei das Gutachten nicht verwertbar, weil es den an Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht zu stellenden Mindestanforderungen nicht genüge.

Das Familiengericht hat daraufhin von Amts wegen das vorliegende Verfahren eingeleitet und mit dem angefochtenen Beschluss nach Anhörung der Beteiligten die Einwilligung des Kindesvaters zur (ergänzenden) Begutachtung der betroffenen Kinder durch die Sachverständige L gem. § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB im Wege der einstweiligen Anordnung ersetzt.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kindesvater mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung begehrt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichten Schriftstücke, das Terminsprotokoll vom 22.07.2020 sowie die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

II. Die gem. den §§ 57 Abs. 1 Nr. 1, 58 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Kindesvaters hat in der Sache Erfolg.

1. Allerdings ist das Familiengericht im Grundsatz zu Recht davon ausgegangen, dass die verweigerte Zustimmung eines sorgeberechtigten Elternteils zur psychologischen Begutachtung eines Kindes gem. § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung ersetzt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17.02.2010 - XII ZB 68/09 -, FamRZ 2010, 720, Tz. 45, ...

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