Leitsatz (amtlich)

›Irrt ein Betroffener, dem ein Verstoß gegen Art. 1 § 8 Abs. 1 Nr. 1 RBerG vorgeworfen wird, über die Notwendigkeit des Vorliegens einer Erlaubnis zur Rechtsberatung, ist dies als Tatbestandsirrtum und nicht als Verbotsirrtum zu bewerten.‹

 

Verfahrensgang

AG Hannover (Entscheidung vom 15.12.2003)

 

Gründe

I.

Durch Bußgeldbescheide der Staatsanwaltschaft Hannover vom 27. Juli 2000 sind gegen die Betroffenen wegen Verstößen gegen das Rechtsberatungsgesetz in jeweils 14 Fällen in der Zeit vom 13. April 1999 bis zum 16. Juli 1999 Geldbußen in Höhe von 500 DM je Verstoß festgesetzt worden. Durch Urteil vom 15. Juli 2002 hatte das Amtsgericht die Betroffenen freigesprochen, weil deren Tätigkeit im Rahmen einer "S. KG" das Rechtsberatungsgesetz nicht berührt habe.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Hannover hat der Senat das Urteil durch Beschluss vom 19. März 2003 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Hannover zurückverwiesen.

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht die Betroffenen erneut freigesprochen.

Nach den Feststellungen sind die Betroffenen zugelassene Rechtsanwälte. Im Jahre 1999 waren sie Komplementäre und Geschäftsführer der "S. KG" in H. Entsprechend dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages sollte die "S. KG" als Gesellschaft zur Schuldenregulierung als "geeignete Stelle" nach § 305 InsO tätig werden. Ihre Tätigkeit für die "S. KG", die entgeltlich im Auftrag der Schuldner die Schuldenregulierung betrieb, übten die Betroffenen nicht als Rechtsanwälte aus, sondern bezeichneten sich im Schriftverkehr jeweils lediglich als "Volljurist". Das Urteil stellt weiter fest, dass die "Angeklagten" (richtigerweise: Betroffenen) in 14 Fällen tätig wurden mit dem Ziel, eine außergerichtliche Einigung i. S. des § 305 Abs. 1 Ziff. 1 InsO herbeizuführen.

Das Urteil führt weiter aus, die Betroffenen seien der Auffassung gewesen, dass sie zu dieser Tätigkeit aufgrund des auf der Grundlage der Ermächtigungsnorm des § 305 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 InsO erlassenen Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (Nds.AGInsO) hierzu befugt gewesen seien und nicht gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen hätten. Die Betroffenen hätten angenommen, im Rahmen ihrer "Schuldenberatung" eine gemäß Art. 1 § 3 Ziff. 9 RBerG zulässige Tätigkeit ausgeübt zu haben, weil sie ihre "S. KG" für eine geeignete Stelle i. S. des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO gehalten hätten.

Die Betroffenen hätten deshalb im Rahmen eines Tatbestandsirrtums über das Tatbestandsmerkmal der Erlaubnispflicht des Handelns geirrt und deshalb nicht vorsätzlich gehandelt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die zunächst mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird. Durch Beschluss vom 17. Mai 2004 hat der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils sind lückenhaft und tragen abermals eine Freisprechung der Betroffenen vom Vorwurf der Verstöße gegen Art. 1 § 8 Abs. 1 Nr. 1 RBerG nicht.

1. Im Ergebnis zutreffend ist das Amtsgericht allerdings davon ausgegangen, dass ein etwaiger Irrtum der Betroffenen über die Notwendigkeit des Vorliegens einer Erlaubnis zur Rechtsberatung als Tatbestandsirrtum und nicht als Verbotsirrtum zu bewerten wäre.

a) Bei der Abgrenzung, ob sich ein Irrtum über den Inhalt bzw. die Notwendigkeit einer Erlaubnis zur Rechtsberatung als Tatbestands- oder Verbotsirrtum darstellt, ist zunächst die Zielrichtung des Rechtsberatungsgesetzes als Verbotsgesetz zu bestimmen. Der Irrtum über die Genehmigungspflicht eines Verhaltens kann nämlich Tatbestands- oder Verbotsirrtum sein; dies hängt vom Tatbestands- oder Rechtfertigungscharakter der Genehmigung ab.

Die Erlaubnis ist Tatbestandsmerkmal, wenn das Verhalten von der allgemeinen Handlungsfreiheit - da sozialadäquat, wertneutral oder nicht unerwünscht - an sich gedeckt wird und sie nur den Zweck hat, eine Kontrolle über potentielle Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu ermöglichen (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Einen Rechtfertigungsgrund stellt die behördliche Erlaubnis dagegen dar, wenn das grundsätzlich wertwidrige Verhalten an sich verboten ist, im Einzelfall aber das Verbot aufgrund einer Interessenabwägung aufgehoben werden kann (repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt). Während im ersten Fall ein Tatbestandsirrtum gegeben ist, liegt im zweiten Fall ein Verbotsirrtum vor (vgl. BayObLGSt. 1992, S. 11, 14; BayObLG NJW 1997, S. 1319 f.).

b) Das Rechtsberatungsgesetz ist als präventives Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt angelegt (vgl. BGH NJW 1969, S. 922, 923; Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl., Einl. RBerG Rdnr. 33; Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Aufl., Art. 1 § 1 Rdnr. 8; Erbs/Kohlhaas-Senge, Strafrechtliche Nebengesetze, ...

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