Entscheidungsstichwort (Thema)

Bußgeldbescheid. Einspruch. Abwesenheit. Termin. Säumnis. Abwesenheitsurteil. Verwerfungsurteil. Rechtsbeschwerde. Zulassungsrechtsbeschwerde. Tatgericht. Wiedereinsetzung. von Amts wegen. Abstandsunterschreitung. Hauptverhandlung. Telefax. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zulassung der Rechtsbeschwerde. Zulassung

 

Leitsatz (amtlich)

In den Fällen des § 74 IV OWiG ist das Amtsgericht nicht daran gehindert, dem Betroffenen von Amts wegen Wiedereinsetzung gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 II OWiG auch dann zu gewähren, wenn seitens des Betroffenen ausdrücklich nur Rechtsbeschwerde eingelegt oder deren Zulassung beantragt worden ist. Wird sie gewährt, wird das angefochtene Urteil gegenstandslos mit der Folge, dass die eingelegte (Zulassungs-) Rechtsbeschwerde unzulässig ist (Anschl. an OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.03.1979 - 2 Ss OWi 89/79 = NJW 1980, 1704 = VRS 57 [1979], 438).

 

Normenkette

StPO §§ 44-45; OWiG § 74 Abs. 2, 4, § 80

 

Tatbestand

Mit Bußgeldbescheid vom 15.05.2017 setzte die Vw-Behörde gegen den Betr. wegen einer fahrlässigen Abstandsunterschreitung (§§ 4 I, 49 StVO i.V.m. Nr. 12.6.1 BKat) eine Geldbuße von 110 € fest. Den Einspruch des Betr. verwarf das AG mit in Abwesenheit des Betr. und seines Verteidigers ergangenem Urteil vom 15.02.2018 nach § 74 II OWiG. Mit Beschluss vom 06.03.2018 gewährte das AG dem Betr. von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 74 IV OWiG, wobei es zur Begründung ausführte, dass die Verteidigung mit am 15.02.2018 um 10:09 Uhr eingegangenem Telefax beantragt habe, den Betr. von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der auf 11:00 Uhr angesetzten Hauptverhandlung zu entbinden, wobei der Schriftsatz dem Gericht jedoch erst nach Urteilserlass um 11:15 Uhr vorgelegt worden sei. Mit seiner Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betr. die Verletzung rechtlichen Gehörs. Im Rahmen der Begründung stellt er klar, dass zu keinem Zeitpunkt Wiedereinsetzung beantragt worden sei; vielmehr sei ausschließlich gwünscht, dass über die Zulassungsrechtsbeschwerde entschieden werde. Das OLG hat das Rechtsmittel als unzulässig verworfen.

 

Entscheidungsgründe

Der an sich nach § 80 OWiG statthafte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unzulässig, da das AG dem Betr. bereits wirksam Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das in Abwesenheit des Betr. verkündete Urteil gewährt hat und dieser durch den damit verbundenen Wegfall des Urteils nicht mehr beschwert ist.

1. Die vom AG gewählte Vorgehensweise steht mit § 74 IV 1 OWiG im Einklang, auch wenn dort davon die Rede ist, dass der Betr. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachsuchen kann. Es entspricht sowohl verfassungsgerichtlicher (BVerfG [1. Senat], Beschluss vom 24.03.1976 - 1 BvL 7/74 = BVerfGE 42, 42 [52] = NJW 1976, 1839) als auch obergerichtlicher (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.03.1979 - 2 Ss OWi 89/79 = NJW 1980, 1704 = VRS 57 [1979], 438) Rspr., welcher im Schrifttum beigetreten worden ist (vgl. KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 74 Rn. 48; Göhler-Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 74 Rn. 46, 47 a.E., 49), dass gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 II OWiG von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann. Nachdem das AG zu der Erkenntnis gelangt war, dass es rechtliches Gehör verletzt hatte, weil es die Voraussetzungen für eine Verwerfungsentscheidung nach § 74 II OWiG verkannt hatte, entsprach das von ihm gewählte Vorgehen pflichtgemäßem richterlichen Ermessen (BVerfGE a.a.O.). Der Antrag des Betr. auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ohne gleichzeitigen Wiedereinsetzungsantrag schließt dabei die Wiedereinsetzung nicht aus (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).

2. Die gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führt zur Unzulässigkeit des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mangels Beschwer. Durch die Gewährung von Wiedereinsetzung ist das Urteil des AG hinfällig geworden, ohne dass es eines besonderen Ausspruches bedurfte (KK/Senge Rn. 49, Göhler-Seitz/Bauer a.a.O., jew. m.w.N.). Dies hat zur Folge, dass eine Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht mehr möglich ist (KK/Senge a.a.O.). [...]

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12315520

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