Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Berufungsbegründung. "Wichtiger Grund" i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Umfassende Interessenabwägung vor Ausspruch einer Kündigung. Erforderlichkeit einer Abmahnung vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung. Freie richterliche Beweiswürdigung nach Abschluss der Beweisaufnahme

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Berufungsbegründung muss die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben. Sie muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen und tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen. Bloße formelhafte Wendungen oder Wiederholungen bisherigen Vorbringens reichen nicht aus.

2. Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel des § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und in der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann. Beharrliche Arbeitsverweigerung kann einen wichtigen Grund darstellen.

3. In einer Gesamtwürdigung ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.

4. Beruht die Pflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die außerordentliche und ordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus.

5. Richterliche Überzeugung ist die prozessordnungsgemäß gewonnene Erkenntnis des einzelnen Richters oder der Mehrheit des Kollegiums, dass die vorhandenen Eigen- und Fremdwahrnehmungen sowie Schlüsse ausreichen, die Erfüllung des vom Gesetz vorgesehenen Beweismaßes zu bejahen.

 

Normenkette

BGB § 314 Abs. 2, § 616; KSchG §§ 1, 23; BGB § 273 Abs. 1, § 275 Abs. 3, § 296 Abs. 1, §§ 615, 626 Abs. 1; ZPO § 286 Abs. 1, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2; ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1; EFZG § 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 04.03.2021; Aktenzeichen 5 Ca 791/20)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 04.03.2021 - 5 Ca 791/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung eines nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fallenden Arbeitsverhältnisses sein Ende gefunden hat, oder aber nicht, ferner darüber, ob dem Kläger gegenüber der Beklagten Ansprüche aus Annahmeverzugslohn, Abgeltungsansprüche im Zusammenhang mit Überstunden und nicht genommenem Urlaub, sowie ferner darüber, ob ihm ein Anspruch auf Zeugniserteilung gegenüber der Beklagten zusteht.

Der 1999 geborene, ledige Kläger ist seit dem 11.05.2020 bei der Beklagten als Lackierer aufgrund eines schriftlich zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrages vom 11.05.2020 gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.000,- EUR beschäftigt. Die Parteien haben gemäß § 2 Nr. 1 ihres Arbeitsvertrages eine dreimonatige Probezeit vereinbart. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 12 - 16 der Akte Bezug genommen. Bei der Beklagten handelt es sich um Kleinbetrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes (§ 23 KSchG).

Der Kläger hat eine tägliche Arbeitszeit von 8:00 Uhr bis 17:00 Uhr. Am 12.10.2020 verließ der Kläger etwa gegen 17:00 Uhr seinen Arbeitsplatz. Am 13. und 14.10.2020 erschien er nicht im Betrieb der Beklagten. Am Nachmittag des 14.10.2020 meldete sich der Kläger per WhatsApp bei dem Prokuristen Z. und teilte diesem mit, er sei arbeitsunfähig.

Mit Datum 14.10.2020, in den Briefkasten des Klägers gegen 16:00 Uhr an diesem Tag eingeworfen, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2020 gekündigt. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 8 d.A. Bezug genommen.

Am 15.10.2020 ging der Beklagten gegen 14:00 Uhr eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers vom 15.10.2020 zu, ausgestellt durch Herrn Dr. G., in der eine Arbeitsunfähigkeit vom 13.10. bis zum 17.10.2020 bescheinigt wird. Hinsicht...

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