Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft gegen tarifwidrige Regelungen. Antragsbefugnis. Bestimmtheit des Unterlassungsanspruchs; Beteiligung. grobe Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten. Tarifvorrang. Abgrenzung Betriebsvereinbarung/Regelungsabrede. Auslegung. Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit. Androhung eines Ordnungsgeldes

 

Leitsatz (amtlich)

Die Gewerkschaft ist berechtigt, tarifwidrige Regelungsabreden ebenso wie tarifwidrige Betriebsvereinbarungen im Wege des Unterlassungsanspruchs gegen den Arbeitgeber geltend zu machen.

Entsprechende Anträge sind im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zu verfolgen. Dabei ist der Betriebsrat, der die Betriebsvereinbarung bzw. die Regelungsabrede mit dem Arbeitgeber abgeschlossen hat, zu beteiligen.

 

Normenkette

BetrVG § 23 Abs. 3, § 77 Abs. 3; GG Art. 9 Abs. 3; BGB §§ 134, 823, 1004; ArbGG §§ 80-81, 83 Abs. 3, § 85 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 890

 

Verfahrensgang

ArbG Paderborn (Beschluss vom 11.10.2010; Aktenzeichen 3 BV 29/09)

 

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 11.10.2010 –, 3 BV 29/09 –, wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

 

Tatbestand

A

Die Beteiligten streiten um Unterlassungsansprüche.

Die Antragstellerin ist die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

Die Arbeitgeberin, ein Bäckereiunternehmen, produziert an ihrem Firmensitz Backwaren und beliefert von dort aus eine Vielzahl von Filialen. Am Produktionsstandort und in den Filialen beschäftigt sie mehr als 900 Arbeitnehmer/innen, davon etwa 700 überwiegend in Teilzeit in den einzelnen Filialen. Zur Unternehmensgruppe S1 gehören neben der Arbeitgeberin ein weiteres Unternehmen in E1 und eines in A1.

Am 29.09.2004 schlossen die Arbeitgeberin und der in ihrem Betrieb gebildete Betriebsrat eine Vereinbarung zur Arbeitsplatzsicherung durch betriebliche Mehrarbeit. Diese Betriebsvereinbarung sah vor, dass die wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeitkräfte um drei Stunden verlängert wird, ohne dass hierfür eine Vergütung gezahlt wird. Die Betriebsvereinbarung war befristet bis zum 31.12.2005. In einem Individualrechtsstreit stellte das Arbeitsgericht Paderborn –, 3 (2) Ca 784/05 –, rechtskräftig die Unwirksamkeit dieser Betriebsvereinbarung wegen Tarifwidrigkeit fest.

Am 21.10.2005 schlossen die antragstellende Gewerkschaft und die Arbeitgeberin eine Reihe von Haustarifverträgen ab, und zwar einen Manteltarifvertrag, einen Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung, einen Entgeltrahmentarifvertrag und einen Entgelttarifvertrag. Zur Beschäftigungssicherung wurde insbesondere eine Absenkung der Entgelthöhe vereinbart.

Am 21.08.2006 wurde im Bäckereihandwerk in Nordrhein-Westfalen ein neuer Manteltarifvertrag vereinbart, der seit dem 01.01.2007 allgemeinverbindlich ist. Sowohl der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag als auch der Haustarifvertrag der Arbeitgeberin vom 21.10.2005 sehen eine wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden für Vollzeitmitarbeiter vor.

Etwa seit Oktober 2008 führte die antragstellende Gewerkschaft mit Vertretern der Arbeitgeberin Gespräche über ein Sanierungskonzept. Die Gewerkschaft kündigte den Entgelttarifvertrag zum 31.03.2009. Die übrigen Haustarifverträge wurden durch die Arbeitgeberin bereits am 24.03.2009 schriftlich außerordentlich gekündigt. Ob diese Kündigungen rechtmäßig gewesen sind, blieb zwischen den Beteiligten ungeklärt.

Nach Ausspruch der fristlosen Kündigungen fanden zwischen den Beteiligten zunächst weitere Verhandlungen über eine Anpassung der Tarifverträge statt. Diese Verhandlungen wurden von der Arbeitgeberin am 10.06.2009 für gescheitert erklärt.

In der Folgezeit nahm die Arbeitgeberin Verhandlungen mit dem Betriebsrat ihres Betriebes über eine „Regelungsabrede” zur Einführung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 42 Stunden bei Vollzeitkräften auf. Am 19.08.2009 unterzeichneten die Arbeitgeberin und der Betriebsrat eine „Regelungsabrede zur Mehrarbeit” (Bl. 8 ff. d. A.). § 1 dieser Regelungsabrede lautet wie folgt:

„Die folgende Regelungsabrede gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Arbeitnehmer im Sinne des § 5 BetrVG) der Backstube S1 GmbH & Co oHG. Ausgenommen sind die leitenden Angestellten, die minderjährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sowie die Auszubildenden.

Ebenfalls ausgenommen sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem Schwerbehinderungsgrad von mindestens 50 %”.

Unter § 3 legten die Betriebsparteien die Berechnung der monatlichen Sollzeit wie folgt fest:

„Die wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte wird ab 01.07.2009 auf 42 Stunden festgelegt. Die monatliche Sollzeit für Vollzeitbeschäftigte beträgt somit 182 Stunden statt bisher 167 Stunden. Die Verlängerung der monatlichen Arbeitszeit erfolgt ohne Lohnausgleich.

Zur Berechnung der Stunden im Urlaub oder Krankheitsfall wird ein entsprechend angepasster Durchschnitt angesetzt.

Die Abrechnung, der in dieser Regelungsabrede vereinbarten Mehrar...

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